Gesundheitsversorgung:Notruf aus dem Kreißsaal

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Am akuten Mangel an Hebammen hat sich nicht viel geändert, obwohl die Ursachen seit Jahren bekannt sind. Während die Zahl der Geburten im Landkreis steigt, stagniert die der Geburtshelferinnen bei 46

Von Isolde Ruhdorfer, Fürstenfeldbruck

Die Geburtenziffer steigt seit Jahren deutschlandweit. Auch im Landkreis macht sich das bemerkbar. 2142 Lebendgeborene gab es 2016 laut dem Bayerischen Landesamt für Statistik im Landkreis Fürstenfeldbruck. Das sind 219 mehr als im Vorjahr. Was für viele eine erfreuliche Nachricht ist, stellt für die werdenden Mütter häufig ein Problem dar. Die Zahl der Hebammen blieb nämlich 2016 im Vergleich zu 2015 auf dem selben Niveau.

46 Hebammen im ambulanten Bereich zählte das Bayerische Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit in beiden Jahren. Die Folge ist eine Versorgungslücke, die die Mütter bei der Schwangerenvorsorge, der Geburt und vor allem der Wochenbettbetreuung trifft. Diese Unterversorgung ist laut Astrid Giesen, der Vorsitzenden des Bayerischen Hebammen-Landesverbands, ein eklatantes Problem. "Nicht mehr alle Frauen bekommen eine Hebamme", sagt sie. Gerade in den letzten zwei Jahren sei das Problem besonders drängend geworden. Auf der Website des Deutschen Hebammenverbandes (DHV) gibt es eine "Landkarte der Unterversorgung". Frauen aus ganz Deutschland können dort vermerken, wann und wo ihnen eine Hebamme fehlte. Dort meldeten allein in Gröbenzell sieben Frauen in den Jahren 2016 und 2017, dass sie keine Hebamme für die Wochenbettbetreuung gefunden hätten. In Olching fehlten seit 2016 ebenfalls sieben Hebammen, in Germering allein im Jahr 2018 schon zwei.

Rina Rockenberg ist Hebamme und Inhaberin der Fürstenfeldbrucker Hebammenpraxis "Integra". Als sie während der Studiums von München nach Maisach zog, fiel ihr sofort die Versorgungslücke auf. "Ich dachte mir, da fehlt etwas", erinnert sie sich heute. Auch für Vorbereitungs- und Rückbildungskurse müssten viele Mütter teils weite Strecken zurücklegen. Deshalb gründete sie eine Praxis. Für die Rückbildungskurse wird dort niemand abgewiesen.

Doch wenn es um die Wochenbettbetreuung geht, können nicht alle Anfragen angenommen werden. "Ich muss inzwischen häufig weitervermitteln", bedauert Rockenberg. Die Wochenbettbetreuung ist zeit- und kostenintensiv sowie kaum planbar. Wann genau ein Kind auf natürliche Weise geboren wird, kann niemand mit Sicherheit vorhersagen. Auch nach der Geburt können oft unvorhergesehene Schwierigkeiten, zum Beispiel beim Stillen, auftreten. Die von der Krankenkasse festgelegten 20 bis 30 Minuten pro Hausbesuch sind laut Rockenberg zu wenig. "Ein Hausbesuch dauert einfach", meint sie, "wenn man Qualität garantieren will, muss man sich Zeit nehmen." Um jene Qualität sicherzustellen, fordert die EU, dass die Hebammenausbildung bis 2020 nur noch an Hochschulen stattfindet. Die Versorgungslücke hängt auch damit zusammen, dass viele Hebammen selbst Mütter sind. Dass es 2016 im Landkreis 46 Hebammen gab, bedeutet also nicht, dass 46 Stellen voll besetzt waren. Wie viele nur in Teilzeit arbeiten, geht aus keiner Statistik hervor. Auch Rockenberg ist Mutter zweier Kinder.

Ein weiterer Punkt ist die Bezahlung. Die Haftpflichtversicherung bereitet derzeit vielen Hebammen Kopfschmerzen. Betrug die jährliche Prämie 1981 noch etwa 30 Euro, lag sie 2017 schon bei mehr als 8 000 Euro. Grund sind die stark gestiegenen Kosten einzelner Schadensfälle. Die Vergütungen sind aber längst nicht im selben Maße angestiegen. "Das ist eine ganze Menge Geld", sagt Rockenberg. "Das muss man erst mal verdienen." Fast alle Hebammen arbeiten freiberuflich und müssen sich deshalb privat versichern. Hat man wie Rockenberg eine eigene Praxis, fallen auch Kosten für Miete und Sportgeräte an.

Um die hohen Versicherungsprämien zu umgehen, verzichten einige Hebammen auf die Geburtshilfe und bieten nur noch Geburtsvorbereitung und Nachsorge an. So arbeitete auch Rockenberg die ersten neun Jahre. Erst seit 2017 ist sie wieder als Belegamme im Brucker Klinikum tätig. Denn viele Frauen wünschen sich, dass die Person, die sie durch die Schwangerschaft begleitet, auch bei der Geburt dabei ist.

Die Probleme, mit denen Hebammen und werdende Mütter zu kämpfen haben, sind nicht neu. Seit Juli 2015 gibt es deshalb den sogenannten Sicherstellungszuschlag, der es möglich macht, einen Teil der Haftpflichtprämien zurückzuerhalten. Trotzdem hat sich der Mangel in den vergangenen zwei Jahren verschärft, immer mehr Kreißsäle stellen die Arbeit ein. Zuletzt schlossen in Bad Tölz und Bad Aibling die Geburtshilfestationen. Das Klinikum Fürstenfeldbruck, in dessen Geburtshilfeabteilung zwei neue Belegärzte tätig sind, ist eine Ausnahme. Doch wo genau Mängel bestehen, lässt sich nur bedingt feststellen. Der DHV fordert deshalb eine umfassende Datenerhebung, um gezielt unterversorgte Regionen zu unterstützen.

Der Beruf der Hebamme sei unverzichtbar, sagt Rockenberg. "Wir leisten viel Aufklärungsarbeit", durch die auch das Selbstwertgefühl der Frauen steige.

© SZ vom 11.06.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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