Germering:Suche nach einem besseren Leben

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Hüseyin Yalçinkaya (links) will auch im Alter in Deutschland bleiben. Seine Kinder und Enkel leben hier, Germering ist zu seiner Heimat geworden. (Foto: Günther Reger)

Ein Gastarbeiter, der 1966 aus der Türkei nach Deutschland gekommen ist, erzählt zum Auftakt der interkulturellen Woche von seinen Erfahrungen - die gerade am Anfang nicht nur positiv waren

Von Christoph Kaindl, Germering

Als Hüseyin Yalçinkaya die Bühne betritt, lauschen alle konzentriert. "Ich bin 1966 als Gastarbeiter nach Deutschland gekommen. Bevor wir aus der Türkei losfahren durften, mussten wir uns alle von deutschen Ärzten einer Untersuchung unterziehen, die an eine militärische Musterung erinnerte." Jemand im Publikum nickt zustimmend. Im Direktzug von Istanbul nach München seien dann bis Österreich alle Türen abgesperrt gewesen. Yalçinkaya erzählt zum Beginn der interkulturellen Woche von seinen Erfahrungen als Gastarbeiter, etwa 70 Besucher sind ins Forum der Stadthalle gekommen, um sich mit dem Thema "über 50 Jahre türkische Einwanderung in Germering" zu beschäftigen.

Ihre Familiengeschichte erzählt auch die Germeringerin Guelsah Kerimoglu. Die 31-Jährige studierte Wirtschaftsrecht und arbeitet für die Agentur für Arbeit. Ihr Großvater kam Anfang der Sechziger Jahre aus der Türkei nach Deutschland, im Glauben, nur ein paar Jahre zu bleiben und dann mit ausreichend Geld zurück in die Heimat zu gehen. Die Begrüßung in Deutschen sei herzlich gewesen, mit Musik und Applaus, erzählt die Enkelin.

Für mehrere Jahre arbeitete der Großvater dann hart in einer Ziegelfabrik, in ihm wuchs die Sehnsucht danach, seine Familie nachzuholen. Denn zu dieser Zeit war es schwer, über so seine Distanz regelmäßig Kontakt zu haben. 1968 wurde sein Wunsch Wirklichkeit, die Familie war wieder vereinigt. Sein Sohn, der Vater von Guelsah Kerimoglu, besuchte zwei Jahre lang eine Deutschklasse und wechselte dann auf die normale Schule. Guelsah Kerimoglu würdigte ganz besonders die Anstrengungen der Generation ihres Großvaters: "Die erste Generation ermöglichte durch ihre harte Arbeit das gute Aufwachsen der dritten Generation." Ihre Einstellung zu Deutschland macht sie ebenfalls deutlich: "Ich bin hier geboren, ich bin ein Teil Deutschlands."

So wie Guelsah Kerimoglu ein Paradebeispiel für die jungen Deutschen mit türkischem Hintergrund ist, so steht Hüseyin Yalçinkaya exemplarisch für die ersten Gastarbeiter. Er kam 1968 nach einigen Umwegen nach Germering. Er wurde 1939 in Denizli geboren, 800 Kilometer von Istanbul entfernt. "In Istanbul hatte das deutsche Arbeitsamt eine Außenstelle, um junge Türken für die Arbeit in Deutschland zu gewinnen. Ich schrieb also von Denizli aus einen Brief dorthin. Allerdings wurde ich zuerst nur auf eine Warteliste gesetzt." Als dann die Zusage kam, reiste er nach München. Von dort aus wurden die Gastarbeiter auf das ganze Bundesgebiet verteilt. Hüseyin Yalçinkaya wurde zuerst in die Nähe von Hamburg geschickt.

Dort arbeitete er in einer Ziegelei. Seine Unterkunft war spartanisch: "Duschen konnten wir nur einmal in der Woche. Dazu mussten wir erst Grundwasser hochpumpen - fließendes Wasser hatten wir nicht zur Verfügung. Und auch das Grundwasser war nicht wirklich sauber." Wasser zum Trinken musste aus einem drei Kilometer entfernten Brunnen geholt werden. Als dann nach sieben Monaten sein Arbeitsvertrag in der Ziegelei auslief, suchte er eine neue Beschäftigung und auch ein besseres Leben. Fündig wurde er schließlich in Germering, das nach dreißig Jahren mit Familie und Arbeit mittlerweile zur neuen Heimat geworden ist. Auf die Nachfrage aus dem Publikum, ob es ihn nun in seinem Alter nicht wieder zurück in die Türkei ziehe, antwortete Yalçinkaya lächelnd: "Meine Söhne, Töchter und Enkel wohnen alle in Germering. Warum sollte ich nicht bei ihnen bleiben?"

Zum Abschluss der Veranstaltung zeigte die Musikgruppe Tümata türkische Sufi-Musik. Doch wer meint, dies sei eine rein türkische Angelegenheit, der fehlt: Mitglieder mehrerer Nationen sind Teil der Gruppe. Und so wirbelte eine Europäerin als Derwischin zu orientalischer Musik durch den Raum. Auch so kann Integration aussehen.

© SZ vom 05.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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