Germering:Integration mit Brief und Siegel

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Sie schaffte den Sprung von der Mittelschule ans Gymnasium: Ilda Karaj, 19, die an diesem Freitag ihr Abschlusszeugnis erhält. (Foto: Johannes Simon)

Als Ilda Karaj 2011 aus Albanien nach Germering kommt, spricht sie kein Wort Deutsch. Nun hat sie das Abi in der Tasche

Von Stefan Salger, Germering

Als 15-Jährige kommt sie 2011 nach Deutschland. Die Wohnung in der albanischen Stadt Elbasan lässt sie hinter sich, zieht zum Vater nach Germering. Ilda spricht kein Wort Deutsch. Aber sie hat einen Traum, seit sie sieben oder acht Jahre alt ist: Irgendwann will sie einen weißen Arztkittel tragen und notleidenden Menschen helfen. Mitte Juni 2016: Ilda ist 19. Sie hat das Abitur geschafft, spricht fließend und akzentfrei Deutsch. Im Max-Born-Gymnasium wird sie an diesem Freitag ihr Abschlusszeugnis erhalten. Ilda ist damit nicht nur eine erfolgreiche Absolventin, sondern das Paradebeispiel dafür, was Zuwanderer mit Fleiß und Durchhaltevermögen in Deutschland erreichen können - in einem Schulsystem, das nach Überzeugung von Johannes Rauter durchlässiger ist als oftmals dargestellt.

Rauter ist Ildas Mentor. Der 71-jährige Volkswirt aus Germering hat die junge Frau in den zurückliegenden Jahren unterstützt - zunächst im Umgang mit der Ausländerbehörde, die sie 2012 nach dem Auslaufen des Touristenvisums ausweisen wollte, vor allem aber beim Deutschlernen. Zudem hat er den Kontakt zur Roland-Berger-Stiftung hergestellt, die im Zuge eines Stipendiums in den vergangenen vier Jahren weitere Sprachkurse und Coachings sowie Nachhilfe finanziert hat.

Ganz glücklich ist Ilda Karaj dennoch nicht, das räumt sie offen ein. Denn der Notenschnitt mit einer Zwei vor dem Komma reicht nicht fürs Medizinstudium in Deutschland - dafür wäre ein Schnitt von 1,0 erforderlich. "Ich hatte mir mehr erhofft", sagt sie. Aber Ilda wird versuchen, Zugang zu einem Studienplatz-Kontingent für albanische Absolventen in Österreich zu erhalten. Ein Jahr will sie aber erst einmal eine Auszeit nehmen, sich durch Jobben eine Reise nach Südamerika finanzieren und damit das nachholen, wofür ihr in den vergangenen Jahren Zeit und Geld gefehlt haben. In den Rucksack werden freilich auch Bücher kommen, denn Ilda muss sich auf die Aufnahmetests vorbereiten. 2017 soll es dann weitergehen in Wien. "Das ist der Plan." Nur wenn das so nicht funktioniert, gibt es bereits einen Plan B: ein Psychologiestudium. Ilda kann sich gut vorstellen, später zumindest für ein paar Jahre ins europäische Ausland oder in die USA zu ziehen - zurück nach Albanien, wo die Familie immer noch regelmäßig den Urlaub verbringt, eher nicht. Die junge Abiturientin hält an ihrem Traum fest. Der Abschluss soll also nur ein Meilenstein sein. Es ist wie ein Marathon, für den man auch einen langen Atem braucht. Immerhin konnten mittlerweile auch ihre Mutter und der elf Jahre alte Bruder nach Deutschland kommen. Die ganze Familie lebt nun in der Wohnung in Germering, die Ildas längst eingebürgerter Vater Muhamet nach seiner Flucht aus dem krisengeschüttelten Kosovo Ende der Neunzigerjahre angemietet hat.

2011 war Ilda zunächst in die Übergangsklasse der Wittelsbacherschule gekommen, bevor sie in die achte Regelklasse wechselte. An der Kerschensteinerschule absolvierte sie zwei Praktika bei einem Zahnarzt und einem Orthopäden und sodann die Prüfung zur Mittleren Reife - als Voraussetzung für den Wechsel ans Gymnasium. Auf die dortige Einführungsklasse folgte die reguläre zwölfte Klasse. "Es war schon sehr stressig", sagt Ilda rückblickend, dreimal pro Woche ging der Unterricht bis zum späten Nachmittag, danach ging es mit Lernen weiter. Ein klein wenig bereue sie angesichts des Endergebnisses den sehr großen Aufwand, den sie betrieben habe. Denn für Privatleben und für Hobbys wie Gitarrespielen, Fotografieren, Lesen oder Jogging blieb wenig Zeit.

In Französisch und Englisch lief es in den Prüfungen recht gut, nebenher hat Ilda auch noch Spanisch gelernt. In Mathe hatte sie eher zu kämpfen, obwohl sie von der Stiftungsmentorin, einer Ärztin aus Herrsching, insgesamt sehr gut unterstützt worden sei. Auch wenn ihre Familie es nicht so offen zeigt - sie ist stolz darauf, dass die Tochter erfolgreich, Schritt für Schritt, ihren Weg geht. Ohne Hilfe Rauters und der Stiftung hätte sie es wohl kaum geschafft, sagt Ilda Karaj. "Ich bin auch der deutschen Gesellschaft dankbar, die mir die Bildung erst ermöglicht hat", sagt sie. Mit der Bildung wuchs auch das Selbstbewusstsein.

Für den Germeringer Buchautor und Mentor Johannes Rauter, der sich unter den Schlagworten "Grüne Welle für Talente" für die Integration motivierter, leistungsbereiter Zuwanderer engagiert, ist der Fall Ilda Karaj "eine wirklich schöne Erfolgsgeschichte, basierend auf sehr viel Fleiß".

© SZ vom 24.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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