Germering:Gefahr für viele Berufe

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Wie können Arbeitnehmer in der digitalen Welt geschützt werden? Matthias Jena spricht in Germering. (Foto: Simon)

Bayerns DGB-Chef Matthias Jena sucht nach einer Gewerkschaftsstrategie für die vierte industrielle Revolution

Technische Innovationen haben in der Menschheitsgeschichte häufig auch negative Folgen nach sich gezogen, so den Verlust von Arbeitsplätzen. Gerade befinden wir uns mitten drin in der "vierten industriellen Revolution", sagte Matthias Jena, der Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) in Bayern, über die momentanen Veränderungen. "Nach Dampfmaschine, Fließband und Computerarbeitsplätzen sind wir jetzt mit Digitalisierung, Crowd-Working, Roboting und Industrie 4.0 konfrontiert", sagte Jena, der mit seiner Familie in Germering wohnt und seinen Vortrag "Technik und Auswirkungen auf die Arbeitswelt" in der evangelischen Dietrich-Bonhoeffer-Kirche hielt.

Dass der Kühlschrank bald selbst seine Waren bestellt, ist schon bekannt und harmlos im Vergleich zu Auswirkungen der Digitalisierung oder dem "Internet der Dinge" auf die Arbeitswelt. Der bayerische DGB-Vorsitzende berichtete den 15 vornehmlich älteren Zuhörern von dem "Picker" bei Amazon, der einen Chip am Arm trägt, damit er beim Zusammenstellen der Pakete für die Bestellungen ständig erreichbar ist. "Dieser Chip ermöglicht aber auch, dass der Mitarbeiter an jedem Ort in der Halle ständig überwacht werden kann", erläuterte Jena. Es habe einen Fall gegeben, dass ein Amazon-Mitarbeiter abgemahnt worden sei, weil er sich fünf Minuten nicht bewegt habe. "In Nürnberg fahren bereits zwei U-Bahnen fahrerlos", führte Jena fort. "Die Fahrer sind nur drin, damit sich die Fahrgäste nicht beunruhigen."

Ganz schlechte Aussichten prognostizierte der Referent Lastwagen- und Taxifahrern sowie Kurierdiensten. "Da stehen 800 000 Arbeitsplätze in Deutschland auf dem Spiel", betonte Jena. Die werden durch automatische Fahrzeuge ersetzt. Das Personal im Finanzbereich werde künftig auf ein Minimum reduziert werden, so der DGB-Vorsitzende. Kreditberatung werde kaum noch nötig sein; Computer würden über einen Zinssatz entscheiden. Jena: "In den USA entscheiden schon jetzt Computer, wer eingestellt wird oder nicht." Der 3-D-Drucker werde erst recht alles revolutionieren. "Das Auto wird ausgedruckt und fährt", sagte der Redner. Jena sprach von Szenarien, die besagen, dass bis zur Hälfte der heutigen menschlichen Arbeit wegfallen wird.

Negative Auswirkungen habe diese Entwicklung vor allem auch auf die Löhne und Gehälter der Menschen. Beim sogenannten "Crowd-Working" vergeben Firmen Aufträge nicht mehr an eigene Mitarbeiter, sondern an externe Anbieter und zwar an den billigsten. In den USA gebe es bereits die Plattform "Mechanical Turk", die Aufträge für einen durchschnittlichen Stundenlohn von 1,25 Dollar vergebe. "Der Arbeiter ist seines Lohnes wert", zitierte der bekennende Christ Jena aus dem Lukas-Evangelium. Für ihn als Gewerkschafter und Christ sei ein Lohn von 1,25 Dollar pro Stunde nicht gerecht.

"Wie kann der DGB den Schutz der Arbeitnehmer in die digitale Welt übertragen?", lautet für Jena die entscheidende Frage. "Es gibt noch keine fertigen Antworten", gestand er ein. "Wir stehen erst am Anfang der Diskussion." Antworten seien auch deshalb schwierig, weil es eine derartige Veränderung der Arbeitswelt seit der ersten industriellen Revolution nicht gegeben habe. "Das Smartphone hat mehr Rechenleistung als die erste Mondfähre", sagte Jena noch. Der bayerische Gewerkschaftschef verwies allgemein auf vier Handlungsfelder: Mitbestimmung, Bildung, Arbeitszeit und Steuerpolitik. "Die technische Ausstattung der Schulen, auch in Germering, gewährleisten nicht digitales Lernen von klein auf", kritisierte Jena. Er mahnte auch eine Reform des 43 Jahre alten Betriebsverfassungsgesetzes an, damit Betriebsräte bei der technischen Entwicklung besser mitbestimmen könnten.

Eine Diskutantin sprach von der "Feudalherrschaft des Computers", eine andere fand "die kirchlichen Antworten zu oberflächlich". Moderator Pfarrer Michael Lorenz beklagte die "Einschränkung unserer Freiheiten". Eine Gegenstrategie hatte niemand. Jena konnte aber berichten, dass die DGB-Jugend "heftig über die Digitalisierung der Arbeitswelt diskutiert".

© SZ vom 16.06.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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