Germering:Düstere Erinnerungen

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"Was tötet uns zuerst? Hunger oder Eiseskälte?" Uwe Kosubek in der Germeringer Stadtbibliothek. (Foto: Johannes Simon)

Uwe Kosubek liest aus dem Buch der Zeitzeugin Dina Dor-Kasten

Von Karl-Wilhelm Götte, Germering

Auch 75 Jahre danach ist es immer noch unvorstellbar: Drei jüdische Familien verstecken sich in der Westukraine in einem Erdloch im Wald, um deutschen SS-Häschern nach dem Überfall auf die damalige Sowjetunion zu entgehen. Im jüdischen Ghetto Rohatyn gab es im März 1942 Massenhinrichtungen durch die deutsche SS. Im Juni 1943 liquidierten die Deutschen das Ghetto und deren Bewohner vollständig. Tägliche Todesangst verfolgten die Menschen, die aus dem Ghetto fliehen konnten. Zweieinhalb Jahre mussten die Familien hungerleidend im Erdloch - im Winter bei eisigen Temperaturen - verbringen, ehe die Rote Armee sie befreite. Die ergreifende Geschichte "Versteckt unter der Erde" bekommen Schülerinnen und Schüler der Max-Born-Akademie in der Germeringer Stadtbibliothek vom Germeringer Schauspieler Uwe Kosubek vorgelesen. Das Buch hatte Dina Dor-Kasten verfasst und ist 2016 erschienen. Die heute 77-jährige Frau, die in Israel lebt, war selbst als Baby und Kleinkind in diesem Erdloch versteckt und erzählt die Geschichte aus der Sicht ihrer Mutter.

Wir zählen die Tage nicht mehr, die wir im Wald versteckt sind", sagt die Mutter resignierend. "Wir kochten in Gedanken Kartoffelsuppe, wenn der Körper vor Kälte zitterte." Bar jeglicher Privatsphäre vegetierten die Menschen dahin. Waschen konnten sie sich viele Monate nicht; gepeinigt wurden sie ständig von Läusen und Flöhen. Manchmal gingen die Männer ins nahe Dorf und stahlen Essensreste und Werkzeuge. Die Deutschen Besatzer schickten immer wieder Suchtrupps in den Wald. Einmal umstellten sie ihn und beschossen das Areal vier Tage lang mit Artillerie. Ein Kind wurde geboren und starb kurz nach der Geburt. Im Winter lagen sie Körper an Körper zusammen, um sich etwas warm zu halten.

Uwe Kosubek variierte die Stimme lediglich dann etwas, wenn es die Verzweiflung der unmenschlichen Lage erforderte. Und die Verzweiflung und Todesangst war groß. "Was tötet uns zuerst? Hunger oder Eiseskälte?", fragt die Mutter, die das Erdloch zusammen mit ihrem Mann überlebte und 1986 starb. Der Text spricht für sich. Kosubek gibt dem Grauen mit angemessener zurückhaltender Tonation den notwendigen Raum. Emotional ist der 54-jährige Schauspieler und Sprecher sehr beteiligt. "Mich haut das immer wieder um und zieht mir die Schuhe aus", beendet er seine 40-minütige Lesung spürbar ergriffen.

Ergriffen sind die 35 Schüler der Klassen neun bis zwölf zwischen halb neun und halb zehn Uhr morgens ebenfalls. "Wir lernen einiges über den Zweiten Weltkrieg in der Schule", sagt Rene Dod, Schüler der zwölften Klasse. "Hier hört man, wie schlimm die Menschen gelitten haben." Das sei eine ganz andere Erfahrung. "Das kommt sehr nahe an einen heran", sagt auch Lilian Floerke, ebenfalls aus der zwölften Klasse. Die persönliche Geschichte sei sehr bewegend gewesen. Sie ist sehr an Psychologie interessiert. "Beeindruckend ist, wie weit Menschen gehen können, dass sie noch Hoffnung haben." Auch Maria Flack aus der zwölften Klasse war spürbar beeindruckt, "unter welchen Bedingungen Menschen überleben und das meistern können." Schülerin Nele Utermöhlen hatte kein Verständnis dafür, dass aktuell wieder Stimmen laut werden, die den Stolz auf die deutsche Wehrmacht fordern. "Das sind absurde Aussagen", bekräftigte sie.

Bibliotheksleiterin Christine Förster-Grüber hatte diesen wertvollen und notwendigen Bildungsvormittag für die Schüler des Germeringer Gymnasiums organisiert hatte.

© SZ vom 05.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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