Gedenken in Bruck und Gröbenzell:Damit die Stimmen nicht verstummen

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An den Mahnmalen in Fürstenfeldbruck und Gröbenzell lesen Schüler lesen Gedichte und Erinnerungen jüdischer KZ-Opfer vor, die überlebten, weil sie singen oder Gitarre spielen konnten

Von Peter Bierl, Fürstenfeldbruck

In Fürstenfeldbruck und Gröbenzell haben am Mittwoch Hunderte Bürger der Opfer des Nationalsozialismus gedacht. Sie versammelten sich anlässlich des Jahrestages der Befreiung der Gefangenen im Konzentrationslager Auschwitz durch die Rote Armee am 27. Januar 1945 am Todesmarsch-Mahnmal in Fürstenfeldbruck sowie am Mahnmal für die Opfer der NS-Herrschaft in Gröbenzell. Schüler lasen Texte von KZ-Überlebenden aus den Außenlagern bei Landsberg vor.

Die Sprecherin des Arbeitskreises Mahnmal erinnerte besonders an Uri Chanoch, der die deutschen Lager und den Todesmarsch durch den Landkreis vor Kriegsende überlebte. Er ist in den vergangenen Jahren in Schulen und bei Gedenkveranstaltungen aufgetreten und hat von seinen Erlebnissen berichtet. Im Herbst ist Chanoch im Alter von 87 Jahren in Israel gestorben. "Er bleibt in unserem Gedächtnis", sagte Julia Zieglmeier. Sie würdigte auch Karin Marquardt, die sich für die Errichtung des Todesmarschmahnmals eingesetzt und den Arbeitskreis Mahnmal mitinitiiert hat. Die frühere SZ-Journalistin ist dafür im November mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet worden.

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(Foto: Günther Reger)

Hannes Götz (links) und Martin Schäfer legen in Gröbenzell einen Kranz nieder.

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(Foto: Günther Reger)

In Fürstenfeldbruck gedenken Stefanie Wirsing (links) und Isabel Reukauf der NS-Opfer.

Unter den Teilnehmern in Bruck waren Bürgermeister, Stadt- und Kreisräte, etwa die Hälfte waren Jugendliche aus den örtlichen Schulen. Isabel Reukauf und Stefanie Wirsing vom Viscardi-Gymnasium lasen aus der Biografie von Coco Schumann vor, der die Lager Theresienstadt, Auschwitz und Kaufering überlebte, weil die deutschen Wachen zu ihrer Unterhaltung Musik wünschten. Der Swing-Gitarrist Schumann spielte mit seiner Kapelle in Auschwitz, wenn neue Gefangene tätowiert wurden oder Gruppen von Kindern an ihm vorbei in die Gasöfen marschierten.

"Wir machten in der Hölle Musik", schrieb Schumann später. Besonders beliebt war bei der SS das Lied "La Paloma" nach der Version von Hans Albers in dem Film "Große Freiheit Nr. 7" von 1944.

Zwei Gedichte von Josef Schneeweis, die von der verzweifelten Hoffnung nach Befreiung handeln und im KZ Dachau entstanden, trugen Isabel Reukauf und Adula Kohns vor. Der Wiener Schneeweis hatte sich als Medizinstudent dem Sozialistischen Studentenverband angeschlossen, im Spanischen Bürgerkrieg kämpfte er gegen die faschistischen Putschisten, die von Deutschland unterstützt wurden. In der Brucker Fliegerhorst-Siedlung sind bis heute zwei Straßen nach Piloten der Legion Condor benannt, einer deutschen Einheit, die unter anderem Guernica in Schutt und Asche legte.

In Gedenken: das Todesmarsch-Mahnmal in Fürstenfeldbruck. (Foto: Günther Reger)

Sowohl Schumann als auch Schneeweis wurden im April 1945 auf einem der berüchtigten Todesmärsche von Kaufering durch den Landkreis Fürstenfeldbruck nach Dachau und von dort weiter Richtung Süden getrieben. Schumann berichtet in seinen Erinnerungen von einem Wehrmachtsgeneral, der bei Wolfratshausen auf die Kolonne der halb toten Gefangenen stieß und mit der SS zu streiten anfing - nicht über die unmenschliche Behandlung, sondern weil ein solcher Anblick der Zivilbevölkerung nicht zumutbar wäre.

Zu den Lesungen spielten das Bläserquartett der Schule den "Sunshine Dixie" und die "Klezmer Serenade". Zum Abschluss legten viele der etwa 150 Teilnehmer nach jüdischem Brauch einen Stein auf den Sockel des Mahnmals.

In der einstigen Nazihochburg des Landkreises, in Gröbenzell, legte Bürgermeister Martin Schäfer (UWG) am Nachmittag einen Kranz vor dem Mahnmal nieder, das vor dem Postgebäude steht. Die Schülersprecher des Gymnasiums, Lena Kurth und Karim Khalifa, lasen Auszüge aus den Erinnerungen von Abba Naor, der als 13-Jähriger in das Ghetto von Kaunas gesperrt und später in ein KZ-Außenlager in Utting am Ammersee verschleppt wurde.

In den Passagen, die Kurth und Khalifa vortrugen, schildert Naor, wie er als Junge im Ghetto bei einem Konzert auf einer Bühne steht, vor deutschen Beamten und SS-Männern und ihren zurechtgemachten Frauen. "Die Deutschen lieben Musik, andächtig lauschen die Mörder", notiert er. Sein Hals war wie zugeschnürt, aber er sang für eine Extraration Brot. Heute verbringt Naor vier bis fünf Monate im Jahr in Deutschland, um seine Geschichte zu erzählen, "als Zeitzeuge, wie man die Überlebenden der Shoa hier nennt". Er müsste nicht extra anreisen aus Israel, so schreibt Naor, hätten die Deutschen nicht etwa einhundert seiner Verwandten, darunter zwei Brüder und die Mutter, ermordet.

© SZ vom 28.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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