Fürstenfeldbruck:Ohne Bleibe

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Beinahe unbemerkt nimmt die Zahl junger Obdachloser zu. Die Behörden wollen deshalb enger zusammenarbeiten. Doch ein Problem können sie bislang nicht lösen: Wohnraum ist überall knapp

Von Heike A. Batzer, Fürstenfeldbruck

Der Obdachlose, das ist für viele der Penner mit Bier, Plastiktüte und Schlafplatz unter der Brücke. Dabei ist Obdachlosigkeit oder zumindest die Gefahr, seine Wohnung zu verlieren und keine neue zu finden, "in der Mitte der Gesellschaft angekommen", sagt Ralf Grath von der Wohnungslosenhilfe der Fürstenfeldbrucker Caritas: "Es betrifft nicht nur ein kleines Segment der Gesellschaft." Besonders problematisch ist die Lage für junge Menschen zwischen 18 und 25 Jahren. Die Zahl derer, die in diesem Alter obdachlos werden, steigt seit einigen Jahren an. Nun wollen sich die zuständigen Behörden besser vernetzen, um den Betroffenen zu helfen. Allen Bemühungen zum Trotz freilich bleibt ein Grundproblem bestehen: Wohnraum im Großraum München ist knapp.

Die Zahl der jungen Erwachsenen, die als wohnungslos gelten und deshalb von den Kommunen, in denen sie gemeldet sind, untergebracht werden müssen, hat sich innerhalb von nur zwei Jahren nahezu verdoppelt: von 26 im Jahr 2012 auf 43 bis Ende Oktober 2014. Und auch die Zahlen aus dem Brucker Jobcenter und der Fachstelle Wohnen der Caritas zeigen, dass es im Landkreis bei 81 Menschen zwischen 21 und 25 Jahren und bei 34 Menschen zwischen 18 und 21 Jahren um die "Sicherung der Wohnsituation" geht, wie es im Behördendeutsch heißt. Ralf Grath legte die Zahlen bei einer dreistündigen Podiumsdiskussion im Landratsamt vor, die dem Thema unter dem Titel "Jung und obdachlos im Landkreis Fürstenfeldbruck" nachspürte. Genauer schlüsselt die Statistik die jungen Obdachlosen nicht auf, nur so viel: Es sind in etwa genau so viele junge Frauen wie Männer betroffen.

Wer obdachlos ist, findet häufig nur einen Notschlafplatz. Auch die Behörden können nicht genügend Unterkünfte anbieten. (Foto: picture alliance / dpa)

Sie sei "verblüfft, dass die Klientel vorher nicht im Jugendhilfebereich auffällig wird", sagt Margret Kopp (CSU), die zuständige Referentin für Jugend- und Familienhilfe im Brucker Kreistag, die unter den Zuhörern ist: "Schauen wir nicht genau genug hin?" Es ist wohl eher ein Problem unklarer Zuständigkeiten sowie der Tatsache, dass "die Zielgruppe quer liegt zu unseren Hilfesystemen", erläutert Aiga Wegmann-Sandkamp. Sie ist beim Caritasverband Münster tätig und stellte ein Modellprojekt namens "Wohnperspektiven" vor, das drei Jahre lang in drei ländlichen Landkreisen Nordrhein-Westfalens die Lage junger Wohnungsloser eruierte und nach Lösungsmöglichkeiten suchte.

Hinter all jenen Notfallsituationen stünden "multiple Problemlagen", sagt Wegmann-Sandkamp: Die betroffenen jungen Erwachsenen leben häufig in prekären Einkommens- und Lebensverhältnissen und tun sich schwer, sich selbst zu organisieren und Hilfsangebote anzunehmen. Sie seien "extrem kompliziert, unzuverlässig und haben eine niedrige Toleranzschwelle". Ralf Grath ergänzt: "Ein gewöhnlicher Teil der Gesellschaft zu werden, gelingt diesen Jugendlichen nicht."

Die Lage junger Obdachloser verbessern möchten (v.l) Ralf Grath, Aiga Wegmann-Sandkamp, Dieter Müller, Dietmar König, Tilo Klöck und Axel Irlbauer. (Foto: Günther Reger)

Im Rahmen des Modellprojekts erlebte Wegmann-Sandkamp aber auch Behörden, "die dann keinen Bock mehr haben". Die Zusammenarbeit würde deshalb von den Behörden, aber auch von den jungen Menschen selbst abgebrochen. Wegmann-Sandkamp plädiert deshalb dafür, Netzwerke aufzubauen, damit die Hilfen Hand in Hand gehen können. Denn "dort, wo so ein junger Wohnungsloser aufschlägt, ist man zuständig", betont sie.

Die Behörden freilich tun sich manchmal schwer, über den eigenen Tellerrand zu blicken. "Wir haben unsere Grenzen und unseren gesetzlichen Auftrag," sagt Dietmar König, Leiter des Jugendamtes Fürstenfeldbruck. Seine Behörde ist zuständig, solange die Betroffenen minderjährig sind. Aber "als Landkreis kümmern wir uns nicht um die Unterbringung volljähriger Personen". Um für Betroffene eine zeitnahe und befriedigende Lösung zu finden, müssen alle mit dem Problem Obdachlosigkeit befassten Einrichtungen zusammenarbeiten - auch das ist dem Münsteraner Modellprojekt zu entnehmen: Jugendamt, Jobcenter, Jugendgerichtshilfe, Wohnungslosenhilfe, Schuldnerberatung, Hilfen für Suchtkranke und einige mehr.

Auch eine "interkommunale Zusammenarbeit ist nötig", fordert Tilo Klöck, Professor für Sozialwissenschaften an der Hochschule für angewandte Wissenschaften in München. Klöck ruft zu einer konzertierten Aktion zur Wohnraumbeschaffung im Ballungsraum München auf, zu denen auch Institutionen "mit eigenem Wohnungsbestand" wie die Kirchen ihren Beitrag leisten müssten: "Wir können es uns nicht leisten, dass große gesellschaftliche Instanzen auf ihrem Wohnraum hocken." Klöck erinnert an Maßnahmen in Baden-Württemberg Ende der Siebzigerjahre, als sich große Heimträger Wohnraum sicherten, der dann auch für betreute Jugendwohngemeinschaften verwendet werden konnte. Das sei andernorts freilich nicht so schnell nachzuholen, schon gar nicht in der derzeit angespannten Lage. Dass zudem so mancher Eigentümer seine Wohnung lieber leer stehen lässt als sie zu vermieten, bestätigt der Brucker Sozialamtsleiter Dieter Müller: "Wir haben versucht, an Wohnungseigentümer ran zu gehen. Aber wir kommen nicht ran. Man lebt lieber für sich allein."

In Anlehnung an die Erfahrungen aus Münster wollen sich die Beteiligten in Fürstenfeldbruck nun besser vernetzen. Ein nächstes Arbeitskreistreffen ist für Dezember geplant. Dabei geht es auch darum, weitere Unterbringungsmöglichkeiten für junge Obdachlose zu finden. Denn diese Probleme würden in Zukunft nicht weniger, "sondern sie werden sich multiplizieren", prophezeit Wissenschaftler Klöck.

© SZ vom 10.11.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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