Serie "Aus Liebe zum Verein" (Folge 16):Herzens Land

Lesezeit: 3 min

Der Fürstenfeldbrucker Ulrich Spannagel ist von Georgien derart fasziniert, dass er den Verein Kaukasischer Kulturkreis gründet, um dessen Traditionen in Deutschland bekannter zu machen

Von Christian Hufnagel, Fürstenfeldbruck

"Das war völlig schwachsinnig", sagt Ulrich Spannagel unverblümt über sich selbst. Was der Fürstenfeldbrucker so selbstkritisch geißelt, ist ein gedankenloses Unwissen, das sicherlich die meisten der Deutschen mit ihm teilen. Auch heute noch, ein Vierteljahrhundert nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion. Gab es zu Zeiten des kommunistischen Reiches und Eisernen Vorhanges schon ein eklatant mangelndes Bewusstsein, so hat sich dieses Defizit auch in der freien Welt souveräner Staaten kaum behoben: Das Land, das den 63-Jährigen später so sehr beeindrucken sollte, dass er einen Verein gründete, war für ihn irrtümlicherweise Russland. Das habe man so im Kopf, gesteht er ein und benennt ein Jahrzehnte überdauerndes Missverständnis: "Man denkt an Russland." Mag es noch zu verzeihen gewesen sein, dass die Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken für ein gigantisches russisches Reich gehalten wurde, so hätte es einem bis heute dämmern müssen: Dieses Staatsgebilde zwängte Völker zusammen, die im Grund eigene Geschichte, Kultur und Sprache haben - wie eben Georgien. Und mit Russland hat dieses Land nicht mehr gemeinsam wie etwa Deutschland mit China.

Hübsch: die Georgierin Lela Bejuashvili in traditioneller georgischer Tracht. (Foto: privat)

Georgien also wurde für den Brucker unverhofft zu einem berührenden Begleiter seines Lebens. Vor sechs, sieben Jahren war es, als eine junge Frau aus diesem kleinen Land zwischen Kaukasus und Schwarzem Meer seine Mieterin wurde und sich der selbständige Ingenieur für Abgastechnik durch diese Begegnung plötzlich für die Menschen und die Kultur einer fernen und fremden, höchst geschichtsträchtigen Region zu interessieren begann. Beinahe folgerichtig ist die Nachmieterin dann auch eine Georgierin geworden. Und durch die Tanzpädagogin Lela Bejuashvili wird bei dem Fürstenfeldbrucker aus dem gesteigerten Interesse ein konkretes Projekt: Spannagel gründet im Januar 2014 mit sieben Mitstreitern einen Verein, dem er einen wohlklingenden Namen gibt: "Kaukasischer Kulturkreis".

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(Foto: Stefan Salger)

Ulrich Sparnagel (links) gründete den Kaukasischen Kulturkreis und fand in Lela Bejuashvili eine wunderbare Botschafterin Georgiens:

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(Foto: privat)

Die 28-Jährige lehrt Kinder georgische Volkstänze.

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(Foto: privat)

Bei Aufführungen kommt es dann zum Austausch der Kulturen...

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(Foto: privat)

...wie in Begegnungen mit alpenländischen Schuhplattlern.

Die Bezeichnung mag sich einprägen, weil sie zuallererst an Brecht und seinen "Kaukasischen Kreidekreis" denken lässt. Doch mit dem Erfinder des epischen Theaters und seinem Lehrstück über die wahre Mutterliebe hat der Fürstenfeldbrucker Verein natürlich nichts gemein. Spannagel begeisterte sich schlicht für die "gute Alliteration". Und das Kaukasische fasst er auch enger, als es der ethisch-geografische Raum ermöglichen würde: "Im Zentrum steht Georgien." Für dessen Kultur und Menschen empfindet er schlicht "Begeisterung". Über die zufälligen Begegnungen in Deutschland hat sich diese nach einem Urlaub in dem Weinland mit seiner Lebenspartnerin im vergangenen Jahr noch gefestigt. Die "totale Gastfreundschaft" hat er erlebt, was sich nicht zuletzt darin ausdrückt, dass die Georgier ihren Gast nicht so schnell vom Tisch aufstehen lassen, sondern ihn stundenlang bewirten und dabei stets auftischen, was ihre Küche hergibt. Ein kulinarischer Reichtum, der in dem christlich-orthodoxen Staat bis heute soziale Probleme übertüncht: "Es wird in Regierungsbauten und Kirchen investiert, während sehr viele Menschen arm sind." Das war für den Brucker eine "zwiespältige Erfahrung".

Nicht allein die Reise hat bei Spannagel eine "Faszination" befeuert, die er bei den Menschen in seiner Heimat genauso wecken will. Die Mittel und Wege dazu sind in der Vereinssatzung genau beschrieben. Ziel sei ein "tiefergehendes Verständnis" für die Kunstformen, Geschichte, Musik und Tänze Georgiens in Deutschland zu vermitteln und die Kommunikation zwischen Künstlern und interessierten Laien beider Kulturkreise zu ermöglichen: "Der Verein zielt auf geistigen Austausch und wechselseitiges Verständnis dieser Kulturen." Zentrales Element soll neben selbst organisierten Veranstaltungen und dem Austausch von Künstlern der "Betrieb einer Musik- und Tanzeinrichtung" sein.

Letztgenanntes Ziel ist bereits realisiert. Lela Bejuashvili betreibt eine Schule für georgischen Tanz und unterrichtet inzwischen rund 50 Kinder und Jugendliche. Die meisten ihrer Schützlinge sind natürlich junge Georgier, aber auch griechische, türkische und deutsche Kinder sind darunter. "Es läuft gut", sagt die 28-Jährige, die 2013 als Aupair-Mädchen nach München kam und inzwischen hauptberufliche Tänzerin ist.

Ihr georgisches Projekt kommt gut an. Die Kindertanzgruppe hat bereits viele Auftritte absolviert. Und das Publikum sei begeistert, so die Leiterin. Was jeder nachvollziehen kann, der schon einmal eine Darbietung erleben durfte: Wenn die Buben wie Fürsten oder Krieger in stolzen Posen über die Bühne tänzeln und die Mädchen mit der Anmut von Prinzessinnen über den Boden gleiten und dabei berührende gestische Dialoge in den Raum zeichnen. Der georgische Volkstanz ist stets narrativ und tradiert damit seit Jahrhunderten Geschichten, ja die Geschichte eines oftmals geschundenen Landes weiter. "Hass, Liebe, Krieg - Man kann alles darin sehen", sagt Bejuashvili, die sich den Erhalt einer wichtigen Tradition ihres Volkes zur Herzensaufgabe macht. "Für mich ist der georgische Tanz alles", sagt sie: "Und die Sehnsucht, die ich habe, kann ich mit den Kindern stillen." Sie ist zudem überzeugt, dass diese Tradition in ihrer Heimat auch in 100 Jahren nicht verloren geht: "Die Georgier haben das im Blut." Das mag auf der anderen Seite auch für so manchen Alpenländler gelten. Vereinsvorsitzender Spannagel hat das jedenfalls dokumentiert auf Fotos, die Schuhplattler mit Kindern in georgischer Tracht zeigen. Womit der bezweckte Austausch der Kulturen verwirklicht ist und sich der Kaukasische Kulturkreis gewissermaßen geschlossen hat.

© SZ vom 11.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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