Erfahrungsbericht der Schulleiterin Andrea Reuß :Unterricht im Grenzbereich

Lesezeit: 2 min

Nun sollen es an der Berufsschule Drittkräfte richten und den Migranten im Unterricht helfen. (Foto: Carmen Voxbrunner)

Die Berufsschule sieht sich in den Integrationsklassen, die junge Flüchtlinge besuchen, mit immer mehr Problemen konfrontiert: Abschiebebescheide, zu viele Analphabeten, zu heterogene Klassen

Von Heike A. Batzer, Fürstenfeldbruck

Die Berufsschule muss immer mehr Flüchtlinge unterrichten. Im kommenden Schuljahr werden insgesamt acht sogenannte Berufsintegrationsklassen zustande kommen, je vier für das erste und vier für das zweite Jahr. "Es ist ein Wahnsinn, was die Berufsschulen zu stemmen haben", sagte die Leiterin der Brucker Einrichtung, Andrea Reuß, bei der Jahreshauptversammlung der Kreishandwerkerschaft, wo sie über die Situation an der Berufsschule Auskunft gab. Ein weiteres Problem stellt die Heterogenität in den Migrantenklassen dar, in denen gleichzeitig junge Menschen unterrichtet werden, die "fast nicht lesen und schreiben können", wie Reuß sagte, und solche, die in ihren Heimatländern eine relativ gute Bildung genossen hatten. Zu schaffen machen der Schule außerdem Abschiebebescheide, die einige Flüchtlinge erreichten.

Nahezu die ganze Klasse sei dabei betroffen, sagt Reuß: "Das schaukelt sich auf." Jene mit guter Bleibeperspektive würden sich dann erst einmal zurücklehnen, während andere Asylbewerber, beispielsweise aus Afghanistan, in der Folge versuchten, sich an den letzten Strohhalm zu klammern. Das sei "Konfliktpotenzial innerhalb der Klasse". Auch brächen Fluchttraumta der Schüler zumeist erst mit einiger zeitlicher Verzögerung auf. Die berufsschulpflichtigen Asylbewerber werden zwei Jahre lang in sogenannten Berufsintegrationsklassen unterrichtet.

Das Programm gilt als ehrgeizig, denn danach sollten sie ausbildungsreif sein. "Die Mehrheit von ihnen aber braucht eigentlich länger", weiß Reuß aus Erfahrung. Im neuen Schuljahr soll eine dieser Klassen als reine Alphabetisierungsklasse geführt werden. Das bedeutet für die Berufsschule, dass sie nun Lesen und Schreiben unterrichten muss. Erste Versuche, Flüchtlinge bereits in den Berufsschul-Fachklassen mitaufzunehmen, erwiesen sich als schwierig, es fehlen die nötigen Kenntnisse der für den jeweiligen Beruf notwendigen Fachsprache. Für zusätzliche Sprachförderkurse nach einem zehnstündigen Berufsschultag sei schlichtweg keine Konzentration mehr da, sagt Reuß.

Nun sollen es sogenannte Drittkräfte richten, Lehrer, die als Begleiter einzelner Schüler im Unterricht dabei sind. "Sie sollen sich in den Fachklassen neben den Flüchtling setzen und versuchen, zu erklären." Drei Drittkräfte hat die Berufsschule schon im Einsatz. Allerdings stoße auch dieses Modell an seine Grenzen, denn "das stört auch den Unterricht", weiß die Schulleiterin. Reuß erzählt den Handwerkern auch, dass vor einem Jahr sechs Flüchtlinge den Qualifizierenden Abschluss schafften und acht in eine Ausbildung oder weiterführende Bildungseinrichtung wechselten. Im demnächst zu Ende gehenden Schuljahr nehmen 14 Flüchtlinge an den Quali-Prüfungen teil, die Hälfte wurde laut Reuß in eine Ausbildung vermittelt. Das Niveau in den Berufsintegrationsklassen sei schwächer geworden: "Vorher konnten wir stark auswählen. Jetzt, wo wir ein fast flächendeckendes Angebot haben, haben wir relativ viele Schwache."

Vor Aufnahme an die Berufsschule müssen sich die jungen Flüchtlinge einem Einstufungstest unterziehen. Von 166 Eingeladenen erschienen jetzt laut Landratsamt 78 zu dem Test, 27 davon wurden als geeignet eingestuft. 23 besuchen bereits eine andere Schule und 14 müssen erst Lesen und Schreiben lernen. Für weitere 67 Schüler wird es noch Tests geben.

Zuständig ist die Berufsschule auch für die Organisation der Sprachintensivklassen an der Erstaufnahmeeinrichtung beim Brucker Fliegerhorst. Für etwa 170 dort lebende junge Migranten wurden fünf Klassen eingerichtet, ein Kooperationspartner der Berufsschule leistet dort wöchentlich 23 Stunden Deutsch als Zweitsprache. Es ist ein freiwilliges Angebot und wird nicht zielstrebig angenommen. "Es ist ein permanentes Kommen und Gehen", sagt Reuß, weshalb es dort "keine stabilen Klassen" gebe. Weil zu wenige den Unterricht besuchen, gibt es nur noch drei solcher Klassen. "Die Jugendlichen haben unterschiedliche Vorstellungen vom System Schule", sagt Reuß. Es habe keine Konsequenzen, wenn sie den Unterricht nicht besuchten. Deshalb gebe es Überlegungen, Schüler im zweiten Berufsintegrationsjahr dadurch zu motivieren, dass sie durch den Schulbesuch Nachteile im Asylverfahren ausgleichen könnten.

© SZ vom 12.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: