Die Zahl der Komatrinker steigt:Von der Party in die Notaufnahme

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Entgegen dem Bundestrend müssen mehr Heranwachsende mit einem Vollrausch in einer Klinik behandelt werden. Aufklärungskampagnen und Präventionsprojekte sollen Abhilfe schaffen

Von Heike A. Batzer, Fürstenfeldbruck

Es wurde getrunken und getrunken - buchstäblich bis zum Umfallen. Der Abend endete mit der Diagnose "akuter Rausch" in der Notaufnahme. Die Zahl der Jugendlichen, die sich auf Partys bis ins Koma trinken, ist im Landkreis Fürstenfeldbruck unverändert hoch. Entgegen dem bundes- und landesweiten Trend, wonach im Jahr 2014 weniger junge Menschen mit akutem Rausch in deutschen Krankenhäusern behandelt werden mussten als im Jahr zuvor, stieg die Zahl der Fälle im Landkreis um 5,8 Prozent an.

86 Kinder und Jugendliche im Alter von zehn bis unter 20 Jahre mit Wohnort im Landkreis Fürstenfeldbruck wurden nach Angaben des Statistischen Landesamtes im Jahr 2014 wegen eines akuten Rausches in einer Klinik, darunter auch die Kreisklinik Fürstenfeldbruck, behandelt. Das sind fünf mehr als 2013. Der Höchststand stammt aus dem Jahr 2010, damals waren es 93. Seit der Jahrtausendwende stiegen die Behandlungszahlen jugendlicher Rauschtrinker aus dem Landkreis sogar um 162 Prozent, die Zahlen für ganz Bayern sind ähnlich. Die Entwicklung, dass sich immer mehr Jugendliche in einen gesundheitsgefährdenden Rauschzustand trinken, hatte verstärkt im Jahr 2008 eingesetzt. Wie eine Befragung durch die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BzgA) ergab, geht der regelmäßige Alkoholkonsum zwar kontinuierlich zurück. Dennoch bleibt der Anteil junger Menschen unverändert hoch, die Alkoholmengen trinken, die selbst für Erwachsene riskant sind. Wird den Komasäufern, wie sie umgangssprachlich genannt werden, in der Regel nachgesagt, sie handelten mit Vorsatz, so ist Thomas Christiani von der Suchtberatungsstelle der Brucker Caritas davon überzeugt, "dass das in den allermeisten Fällen von ihnen nicht beabsichtigt ist". Häufig hätten die Jugendlichen keine Erfahrung im Umgang mit Alkohol oder die bei Jugendlichen beliebten, zuckerhaltigen alkoholischen Mixgetränke zeitigten eine Wirkung, "die nicht so zeitverzögert einsetzt wie beim Bier".

SZ-Grafik; Quelle: Statistisches Landesamt; Foto: DPA (Foto: 8u)

Zwar greifen Mädchen und Frauen eigentlich seltener zu alkoholischen Getränken und konsumieren auch geringere Mengen, dennoch holen sie in der einschlägigen Statistik auf. 2014 waren 43 Prozent der wegen Alkoholmissbrauchs behandelten jungen Leute weiblich. Ähnlich viele Mädchen waren es mit 46 Prozent im Jahr 2011, während ihr Anteil im Rekordjahr 2010 nur ein Viertel betrug. Dennoch sei Alkoholkonsum in problematischerem Ausmaß bei jungen Männern häufiger, sagt Christiani: "Das Risikoverhalten bei jungen Männern ist stärker ausgeprägt."

Um der Entwicklung Einhalt zu gebieten, wurde in den vergangenen Jahren Einiges unternommen. Die Bundesgesundheitszentrale rief die Kampagne "Kenn dein Limit" ins Leben, auch Krankenkassen wie die DAK setzen auf Aufklärungsarbeit. "Bunt statt blau - Kunst gegen Komasaufen" heißt ein bundesweiter Kreativwettbewerb für Schüler, der auf die Gefahren von Alkoholmissbrauch aufmerksam machen soll. Alkohol an der Schule ist zwar verboten, dennoch gab jeder vierte Schüler einer Haupt-, Real- und regionalen Schule bei einer Umfrage für eine Studie, die die DAK 2010 zusammen mit der Leuphana Universität Lüneburg durchgeführt hatte, an, regelmäßig zu trinken. Bei den Gymnasiasten war es sogar jeder Dritte. Die Alkoholprävention bleibe "unverzichtbar", sagt deshalb Ulrich Koller von der DAK-Geschäftsstelle in Fürstenfeldbruck, denn "nach wie vor gehört der Alkohol für viele Jugendliche zum Feiern und Spaß Haben dazu".

Damit Exzesse möglichst ausbleiben, hat auch die Politik auf lokaler Ebene reagiert. Seit vier Jahren macht eine "Vereinbarung gegen Alkoholmissbrauch auf Festveranstaltungen im Landkreis" bei Feiern, bei denen "die Gefahr von übermäßigem Alkoholkonsum besteht" wie Stadel- oder Burschenfesten, Konzerten oder Mottopartys strenge Auflagen wie die Anwesenheit eines Sicherheitsdienstes, Einlasskontrollen, Armbänder, die die Jugendlichen in verschiedene Altersklassen einteilen, oder Auflagen für das Ausschankpersonal. Falls sich junge Leute dennoch in den Vollrausch trinken, müssen die Veranstalter reagieren und die Erziehungsberechtigten oder, falls das nicht gelingt, Sanitätsdienst und Polizei verständigen.

Der Landkreis versucht seit 2009, auch mit dem Präventionsprojekt "Hart am Limit" (Halt) gegenzusteuern. Einmal im Jahr werden bei einem Konzertfestival für junge Leute ausschließlich alkoholfreie Getränke ausgeschenkt. Außerdem werden junge Rauschtrinker und ihre Eltern nach einer stationär behandelten Alkoholvergiftung mit einem "Brückengespräch" meist noch im Krankenhaus auf Suchtberatungsangebote hingewiesen. Die Gespräche würden von den betroffenen Jugendlichen gut angenommen, sagt Christiani. Schwieriger sei es zumeist, Kontakt zu den Eltern herzustellen. Wichtig dabei sei, die Jugendlichen auch ernst zu nehmen, sagt Christiani, weil diese ihr Verhalten selbst als durchaus ambivalent erleben würden: Einerseits sei da die allgemeine Wahrnehmung, wonach fast jeder Alkohol trinke, andererseits hätten sie nun eine "heftige Erfahrung gemacht". Mit einer belehrenden Haltung, die jungen Menschen unbedingt überzeugen zu wollen, komme man nicht weit.

© SZ vom 24.02.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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