Betrüger gestellt:Asylbewerber hilft bedrohter Frau

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Jalal Abdallah hat in Germering als Dolmetscher für Flüchtlinge und als Streitschlichter gearbeitet. (Foto: Günther Reger)

Der Iraker Jalal Abdallah sitzt im Rollstuhl. Als er sieht, dass eine Verkäuferin attackiert wird, greift er dennoch ein. Im Anerkennungsverfahren hat die mutige Tat dem Mann, der früher in Germering gelebt hat, aber nichts genützt

Von Karl-Wilhelm Götte, Germering

Vor einer Rückfahrt in seine Asyl-Unterkunft in Geretsried hat Jalal Abdallah Anfang des Jahres am Münchner Hauptbahnhof beobachtet, wie eine Verkäuferin in einem Tabakwarengeschäft von einem Mann bedroht wurde. Niemand traute sich einzugreifen und zu helfen. Abdallah, der aus dem Irak geflüchtet ist und eineinhalb Jahre in der Germeringer Asyl-Unterkunft im Don-Bosco-Altenheim untergebracht gewesen war, tat es sofort. Der Rollstuhlfahrer rollte mutig ins Geschäft hinein. Dort redete er auf den 48-jährigen Mann beschwichtigend ein. Der Mann wollte, wie sich herausstellte, mit einer entwendeten EC-Karte bezahlen. Als die Verkäuferin Verdacht schöpfte, wurde er handgreiflich. Abdallah lenkte den Mann erfolgreich ab. Zwei weitere Männer kamen in den Laden und hielten den 48-Jährigen fest, bis die Polizei eintraf. Ein Polizeisprecher sagte, dass durch das couragierte Eingreifen des Asylbewerbers Schlimmeres verhindert wurde. "Die Bundespolizei dankt dem Helfer für seine Zivilcourage", stand auf einem schriftlichen Polizeilob für Abdallah.

Doch auch dieses vorbildliche Verhalten hilft Jalal Abdallah nicht weiter. Der Iraker will diesen Vorfall in München gar nicht an die große Glocke hängen. "Ich konnte nichts anderes tun, als zu helfen", sagt er rückblickend. "Ich habe nur meinen Job gemacht." Jalal Abdallah wartet seit drei Jahren darauf, als politischer Flüchtling anerkannt zu werden und Asyl in Deutschland zu bekommen. "Warum geben sie mir nicht eine kleine Chance?", fragt er und klingt verzweifelt.

In Germering erinnert man sich noch gut an den immer freundlichen Rollstuhlfahrer mit den traurig wirkenden braunen Augen. Der Iraker, der in Germering ein Jahr als "Kulturmittler" für die Stadtverwaltung tätig war, war häufig am Eingang zur Germeringer Tafel, auf der Rückseite des Mehrgenerationenhauses, anzutreffen und schlichtete erfolgreich aufkommende Konflikte unter Asylbewerbern. Die Germeringer Polizei rief den heute 47-jährigen Iraker auch nachts an, wenn seine Hilfe gebraucht wurde. Seit Anfang 2017 wohnt der Flüchtling im Asylbewerberheim in Geretsried. Auch dort hilft er, wo er kann.

Er würde in Deutschland gerne mehr tun und einer regulären Arbeit nachgehen, aber das darf er nicht, weil er noch nicht als Asylbewerber anerkennt ist. Abdallah absolvierte in Bagdad ein Ingenieurstudium. Bei einem Terroranschlag starb eine seiner beiden Schwestern, er wurde schwer verletzt. Er ist vom Brustkorb abwärts gelähmt und sitzt seit dem Terroranschlag im Rollstuhl. Im Irak fühlte er sich weiterhin bedroht, deshalb flüchtete er nach Deutschland.

Abdallah ist für viele Aufgaben qualifiziert, zumal er Kurdisch, Arabisch und die persischen Sprachen Farsi und Dari spricht, dazu Englisch und auch ganz gut Deutsch. Auch in Geretsried hilft er anderen Asylbewerbern. Er dolmetscht oder begleitet sie zu Behörden oder zum Arzt. Auch der Polizei ist er behilflich. Ein Praktikum in den Oberland-Werkstätten hat er zudem erfolgreich absolviert. Die Lage macht ihn traurig. "Es macht mich richtig krank, nicht zu arbeiten", sagt er. Dabei liebe er dieses Land und möchte Deutschland, das ihm Schutz gegeben hat, etwas zurückgeben.

Das kann er nicht, weil das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) seinen Asylantrag abgelehnt hat. Die Behörde meinte, dass es im Irak sichere Gebiete gebe, wo er leben könne. Abdallah empfahl dem Sachbearbeiter, vier Wochen lang diese Aussage vor Ort zu testen. Dann reichte er vor gut einem Jahr eine Klage gegen den ablehnenden Asylbescheid ein. Seitdem wird er in Deutschland geduldet.

Bis diese Klage entschieden ist, darf der Iraker kein eigenes Geld verdienen. "Ich will dem deutschen Staat, der so viel für mich getan hat, nicht auf der Tasche liegen", bekräftigt er. Umso schneller, umso besser. Doch ein Termin, an dem seine Klage vor dem Verwaltungsgericht in München behandelt wird, ist immer noch nicht anberaumt worden. Er müsse seine Zeit in seinem kleinen Zimmer im Asylbewerberheim in Geretsried verplempern. Das mache ihn depressiv, sagt er. Zumal in der Unterkunft etwa 250 Menschen untergebracht sind und 24 Stunden lang keine Ruhe herrsche. "Warum muss ich so lange auf mein Asyl warten?", fragt er. "Ich habe doch alle Papiere zusammen, dass ich als Flüchtling anerkannt werden kann." Das sei alles so "langweilig". Dieses Wort wiederholt er gleich dreimal. Früher ist er ab und zu wieder nach Germering gefahren, um alte Bekannte zu sehen. Auch war die Unterkunft in Germering viel besser gewesen. Doch für ihn als Rollstuhlfahrer ist das zu aufwendig geworden. Jalal Abdallahs innigster Wunsch: "Ich will mich endlich als Mensch fühlen."

© SZ vom 09.07.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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