Bereitschaftspflege:Vater auf Zeit

Lesezeit: 3 min

Der ehemalige Waldorf-Pädagoge Manfred Lutz kümmert sich um Buben, die das Jugendamt bei ihm unterbringt

Von Katharina Knaut, Fürstenfeldbruck

"Nachbarn rufen wegen einer Lärmbelästigung die Polizei", berichtet Diane Ziegert vom Jugendamt. Die Beamten kommen in das Haus, um die Sache zu untersuchen, und finden ein unterernährtes Kind. Eine solche Situation stuft das Jugendamt als Notsituation ein, eine Lage, in der das Wohl des Kindes so sehr gefährdet ist, dass man sie nicht länger so belassen kann. Dann holen die Mitarbeiter des Landratsamtes als letzte Maßnahme das Kind aus der Familie und bringen es zu Bereitschaftspflegemüttern und -vätern, wie etwa zu Manfred Lutz. Wie lange ein Kind bleibt, weiß er nicht. Vielleicht zwei Wochen, vielleicht auch einige Monate. Eben so lange, bis sich die Situation geklärt hat. Bis man weiß, ob das Kind in die Familie zurückkehren kann, oder ob eine andere Lösung gefunden werden muss.

Momentan hat er zwei Buben im Haus, einer von ihnen bereits zum wiederholten Mal. Der Junge war zunächst wieder zu seiner Familie gekommen, es hatte sich jedoch gezeigt, dass es auch dann nicht funktionierte. "Jetzt muss überlegt werden, wie es weitergeht", meint Lutz.

Seit über zehn Jahren betätigt sich der 61-Jährige bereits als Pflegevater. Der ehemalige Lehrer einer Waldorfschule sieht in seinem Ehrenamt eine sehr erfüllende Aufgabe. "Es ist schön, den Kindern einen äußeren Raum zu schaffen und für sie da zu sein." Er sei eben ein Familienmensch. Was jedoch nicht heißt, dass es von Zeit zu Zeit nicht auch eine Herausforderung ist. "Kinder stellen dich in Frage, sie wägen ab, wie weit sie gehen können. Das ist ihre Aufgabe, es kann manchmal aber auch sehr anstrengend sein." Bei mehreren Kindern im Haus seien auch Streitereien untereinander nicht ungewöhnlich. "Sie kommen aus unterschiedlichen Familien, das heißt, jeder bringt sein eigenes System mit."

Im Sommer lebten zeitweise fünf Buben bei ihm. "Da geht es auch mal zur Sache." Abgesehen davon sei es für die Kinder jedoch sehr hilfreich, jemanden zu haben, der sich in derselben Lage befindet. "Das macht vor allem den Anfang leichter, wenn alles neu ist. Dann ist jemand da, der sagt: Ich weiß, wo du stehst."

Das Kennenlernen sei ohnehin eine sehr heikle Situation, da die Kinder ganz plötzlich aus ihrem Alltag gerissen werden. "Da kommt jemand in die Schule und sagt: Du kannst jetzt erst mal nicht mehr nach Hause." Auf einmal ist alles neu. "Der erste Schritt ist immer zu sagen: ich weiß, es ist schlimm, dass du erst einmal nicht heim kannst, aber ich biete dir einen Platz an." Danach sei es wichtig, sich eine Vertrauensbasis und eine Bindung zu schaffen, gleichzeitig aber auch eine gewisse Distanz zu wahren. "Ich werde immer gefragt, ob es nicht schwierig ist, wieder loszulassen, wenn die Kinder gehen. Ich sage dann immer: Nein, es ist doch gut, sie wieder auf einen guten Weg zu schicken!" Lutz empfindet den Abschied eher als einen besonderen Moment, der gefeiert werden muss. "Denn das heißt, dass voraussichtlich alles gut wird."

Sollte der Wunsch bestehen, bietet er an, in Kontakt zu bleiben. "Aber das muss nicht sein. Ich will mich nicht aufdrängen, es ist auch nicht meine Aufgabe, mich einzumischen." Er gebe den Kindern den Raum, aber Ziel sei es immer, dass sie wieder in ihre Familien zurückkommen. Teilweise ist er auch schon in Kontakt mit den Eltern gekommen. "Ich empfinde das als positiv. Ich versuche, Teil der Problemlösung zu sein. Außerdem bin ich keine Amtsperson, das ist ein Vorteil."

Bei zwei Buben, die im Sommer bei ihm waren, haben die Väter die Verantwortung übernommen und sich dabei sehr bemüht, sodass die Kinder bei ihrer Familie bleiben konnten. Er erinnert sich an ein Kind, dessen Eltern von sich aus zum Jugendamt gingen, weil die Situation für sie nicht mehr tragbar war. Der Junge blieb dann ein paar Wochen bei Lutz, und als er wieder nach Hause kam, klappte es. Lutz beschränkt sich aber nicht nur auf Bereitschaftspflege. In manchen Fällen nimmt er Kinder auch längere Zeit bei sich auf. "Das Längste waren sechseinhalb Jahre."

Am schönsten ist es für ihn als Pflegevater, wenn alle zusammen am Tisch sitzen um gemeinsam spielen. Im Sommer war er mit den Buben oft auf dem Spielplatz und am Fluss. Es seien viele schöne Momente, es sei toll zu sehen, welche Persönlichkeiten die Kinder in sich tragen.

© SZ vom 24.02.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: