Baumschutz in der Defensive:Projekt Kahlschlag

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Kommunen, Behörden und Unternehmen lassen Bäume fällen, obwohl ein Baubeginn gar nicht unmittelbar bevorsteht. Bisweilen sind nicht einmal die Planungen für ein Areal abgeschlossen

Von M. Amann, J. Bergmann,P. Bierl, A. Lindenbach und S. Salger, Fürstenfeldbruck

Es geht auch ohne Bäume, lautet anscheinend das Motto von Bauherren, Behörden, Politikern und Planern. Ob Umgehungsstraßen, neue Wohn- und Geschäftshäuser oder Leitplanken, Bäume stehen immer im Weg. Dazu kommt neuerdings, dass der Kahlschlag gelegentlich schon stattfindet, wenn die Planung eines Projekts noch gar nicht abgeschlossen ist. Oder es wird großflächig abgeholzt, weil es billiger ist. "Es werden gerne mal Fakten geschaffen", stellt Eugenie Scherb, die Kreisvorsitzende des Bundes Naturschutz (BN), fest. Hohe Wellen geschlagen hat jüngst auch die Abholzung des Steilhangs gegenüber dem Brucker S-Bahnhof. Die Bahn begründete die Maßnahme mit einem hohen Anteil erkrankter Eschen und der Gefahr, dass Bäume auf dem Gleis landen. In den sozialen Medien wurde dies mit großem Unmut quittiert: Hundertprozentige Sicherheit gebe es ohnehin nie, da helfe es auch nicht, alle Bäume umzuschlagen. Aktuelle Bilder des von Bahn-Mitarbeitern beidseitig ausgelichteten Bahndamms westlich des Bahnsteigs lösten ähnliche Reaktionen aus.

Werden Bäume auf Baugrundstücken gefällt, muss andernorts in der Regel Ersatz gepflanzt werden. Für Scherb ein schwacher Trost: Es dauert Jahrzehnte, bis aus dem Setzling ein Baum geworden ist. Dabei gäbe es durchaus Möglichkeiten, manchen Baum allein durch eine andere Planung und Ausführung zu retten. Scherb verweist auf den Bau der Roggensteiner Allee-Nord in Eichenau als positives Beispiel. Als weiteren Erfolg nennt die BN-Vorsitzende die verschärfte Baumschutzverordnung in Gröbenzell. Solche Satzungen wollen sich manche Stadt- und Gemeinderäte lieber erst gar nicht ans Bein binden.

Umfahrung Olching

Die Fläche für Kreisel der Olchinger Umfahrung. (Foto: Günther Reger)

Eines Tages im Oktober waren die Bäume an der Römerstraße in Esting verschwunden. Dort, wo die seit Jahrzehnten umstrittene Olchinger-Süd-West-Umfahrung später abzweigen soll, klafft heute ein Loch und das, obwohl bis jetzt nicht alle Grundstücke für den Bau der Umgehung im Besitz des Freistaats sind. Als übereilt bezeichneten die Umfahrungsgegner die Rohdungsarbeiten bei einer Demonstration im Oktober. Das Staatliche Straßenbauamt Freising schaffe Fakten und stelle die Betroffenen vor vollendete Tatsachen. Kritik, die Stefan Meier, der zuständige Bereichsleiter beim Staatlichen Straßenbauamt Freising, von sich weist. "Wir haben bestehendes Baurecht", sagt er. Die Rohdungsarbeiten haben sich auch lediglich auf Grundstücke beschränkt, die im Besitz der Stadt Olching sind und auf denen die Arbeiten genehmigt wurden. Den Grundstückseigentümern, die sich bisher weigern, ihr Land oder Teilflächen davon abzugeben, droht eine Enteignung. So oder so, Meier rechnet damit, dass die Grundstücksfragen bis Anfang 2018 abgeschlossen sein werden und dass dann bald mit den Bauarbeiten begonnen werden kann. Dass die Bäume bereits im Oktober gefällt wurden, rechtfertigt auch Meier mit Naturschutzgründen. Freilich dürfte es auch eine Rolle spielen, dass sich der Bau der Straße im Ernstfall um ein Jahr verzögern hätte können. Denn die Schonfrist für die Bäume gilt von 1. März bis zum 30. September.

Supermarkt in Grafrath

Das Gelände des künftigen Supermarkts in Grafrath. (Foto: Günther Reger)

Sämtliche Bäume und Sträucher wurden auf dem ehemaligen Damian-Grundstück mitten in Grafrath Anfang März abgeholzt. Die Aktion sei mit der Unteren Naturschutzbehörde abgestimmt und müsse noch vor Beginn der Brutzeit der Vögel erfolgen, sonst könne man den Supermarkt nicht errichten, wenn die Planung abgeschlossen ist, hieß es damals, nachdem sich ein Nachbar über den vorzeitigen "überfallartigen Kahlschlag" beschwert hatte. Die Bürgerbeteiligung sei unterlaufen worden, indem vollendete Tatsachen geschaffen wurden, argumentiert der Nachbar, der es "zynisch" fand, dass die Fällung aus Liebe zu den Vögeln noch vor der Brutzeit habe erfolgen müssen. Zweieinhalb Jahre später ist die Supermarktplanung noch immer nicht abgeschlossen. Nach den Worten von Bauamtsleiter Erwin Fraunhofer war die Verschleppung aber beim besten Willen nicht vorherzusehen. Mittlerweile haben die Wurzeln der Bäume und Sträucher erneut ausgetrieben. So ist eine neue Buschlandschaft nachgewachsen, die nun wieder - am besten vor der Brutzeit der Vögel im Frühjahr - beseitigt werden muss, bevor mit dem Bau des Lebensmittelmarktes begonnen werden kann.

Schleifring-Erweiterung

Ein Sturm der Entrüstung schlug jüngst dem Maschinenbauer Schleifring im Stadtrat entgegen. Das Unternehmen, das für zivile und militärische Kunden sehr erfolgreich Systeme für die Signalübertragung an drehbaren Komponenten entwickelt und herstellt, ist einer der wichtigsten Brucker Gewerbesteuerzahler und Arbeitgeber. Deshalb war ihm die Stadt entgegengekommen, als es um die erneute Erweiterung des Firmengeländes im Gewerbegebiet Hasenheide ging. Nördlich der Maisacher Straße durfte ein 25 Meter breiter Waldstreifen abgeholzt werden. Südlich der Fahrbahn sollte ebenfalls auf fast einem Hektar abgeholzt werden dürfen, um dort Parkplätze anlegen zu können. Eine knappe Mehrheit der Politiker stimmte zu, nicht ohne das Abholzen südlich der Straße an Bedingungen zu knüpfen: Bäume sollten abschnittsweise nur dort gefällt werden, wo zusätzlicher Bedarf nach Parkplätzen auch wirklich besteht. Mitte Oktober aber wurde der gesamte Bereich gerodet. Rechtlich zulässig war das wohl. Die Stadträte sind dennoch sauer, dass sich die Firma Schleifring nicht an die Auflagen gehalten habe.

Wohnungen in der Buchenau

Im Brucker Westen auf dem Gelände an der Industriestraße sollen 70 Bäume für drei große Neubauten geopfert werden. Der Bund Naturschutz wendet sich insbesondere dagegen, dass Bäume gefällt werden, bevor der Bebauungsplan überhaupt rechtskräftig ist. Das sei unzulässig. Auf dem Areal sollen neben dem Einkaufscenter weitere Geschäfte und Wohnungen entstehen. Entlang der Industriestraße und an der nördlichen Grenze des Grundstücks würden dafür 35 große und 35 kleine Bäume umgehauen, um Parkplätze anzulegen, eine Tiefgarageneinfahrt zu platzieren und zum Teil die Gebäude zu errichten. Scherb bezeichnete die Fällungen als "unverantwortlich", weil die Bäume wichtig für das Mikroklima und Lebensraum für Vögel und Insekten sind. Der Bund Naturschutz hat die Stadt aufgefordert, die Bebauungspläne so zu ändern, dass der Kahlschlag unterbleibt. Sowohl zur Straße als auch nach Norden zur Sportschule Puch müsse ein acht Meter breiter Grünstreifen bleiben, so dass die Wurzelballen der Bäume keinen Schaden nehmen.

Kester-Haeusler-Park

Stück für Stück wird der Kester-Haeusler-Park, der im Süden an die Dachauer Straße stößt, kleiner. Für die neue Psychiatrie mussten bereits vor Jahren Flächen im nördlichen Teil abgetreten und Bäume gefällt werden. Weil es eine sinnvolle Einrichtung ist und die Nähe zur Kreisklinik von Vorteil, wurde dies von der Stadt hingenommen. Umstritten war dann aber die Idee, auf einer weiteren Fläche bis 2019 eine Kita für sechs Betreuungsgruppen zu bauen. Auch hier wurden im Februar etwa 30 Bäume gefällt, die im Weg gestanden hatten. Besonders deutlich war Ulrich Schmetz (SPD) geworden, für den das Projekt eine "städtebauliche Sünde" ist. Er kritisierte die Fällung der Bäume noch vor der Erteilung der Baugenehmigung. Stadt und Bauherr hatten vor einer Verzögerung des Baubeginns um mindestens ein halbes Jahr gewarnt und den Termin mit der nahenden Vogelbrutzeit begründet, in der das Fällen von Bäumen nicht zulässig ist.

Allee Maisach

Ein Positivbeispiel dafür, dass Bäume erhalten werden können, wenn in ihrer Nähe gebaut wird und Experten zunächst erklären, es gäbe keine Alternative zur Fällung, ist die Allee zwischen Maisach und Überacker. Im Frühjahr hieß es seitens des Straßenbauamts Freising: Voraussichtlich 15 bis 20 Linden müssten weichen, wenn im Zuge der Fahrbahnsanierung auch Leitplanken entlang der Straße angebracht werden. Die Ertüchtigung der Straße ist wegen neuerer Richtlinien nötig; diese greifen sobald die 1978 errichtete Straße baulich verändert wird. Doch in Maisach, Überacker und drumherum regte sich Widerstand. Viele Anwohner protestierten und unterschrieben gegen die Pläne des Straßenbauamts und für den Erhalt dieser im Landkreis einzigartigen Allee. Der Gemeinderat schloss sich an. Schließlich wurde bei einem Gespräch zwischen Vertretern der gemeindlichen Bauverwaltung, des Straßenbauamts, der Verkehrsbehörde des Landratsamtes und der Polizei eine Alternative gefunden: das Ecobos-System, eine spezielle baumfreundliche Leitplanke. Sie wurde nur in den Kurvenbereichen eingebaut, so dass nur ein einziger Baum krankheitsbedingt gefällt werden musste.

© SZ vom 04.01.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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