Amtsgericht:Rationaler Gesetzesbruch

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Geldstrafe für abgelehnten Asylbewerber aus Mammendorf, weil er seine eigene Abschiebung verzögert

Von Stefan Salger, Fürstenfeldbruck

Nicht alles, was rational erscheint, ist mit dem Gesetz vereinbar. Deutlich geworden ist das am Mittwoch im Amtsgericht. Richter Johann Steigmayer sprach dort einen 41 Jahre alten, in Nigeria geborenen Mammendorfer schuldig wegen "Unerlaubten Aufenthalts ohne Aufenthaltstitel", obwohl er nach eigenem Bekunden mit einer Einstellung des Verfahrens gut hätte leben können. Dem Angeklagten wollte er keinen "moralischen Vorwurf" machen, wohl aber habe dieser sich "strafbar gemacht" - weil er sich nicht genügend um die Ausstellung des angeblich verlorenen Ausweises bemüht habe. Die Krux: Würde seine Botschaft dem 41-Jährigen den verlangten Ausweis ausstellen, müsste dieser mit seiner Abschiebung ins Heimatland rechnen.

Der Mammendorfer, den der juristisch beschlagenen Lothar Panzer vom dortigen Asylhelferkreis in der zweistündigen Verhandlung vertritt, reist im April 2011 von Frankreich aus nach Deutschland ein. Die Bitte um Asyl begründet er mit einer reichlich abenteuerlich klingenden Geschichte. Angeblich wurde er in Nigeria in dubiose Geschäfte verstrickt, irrtümlich als Homosexueller verfolgt, bedroht und erpresst. Freunde und Angehörige sollen entführt oder ermordet worden sein. Zudem soll er Kontakt gehabt haben mit Menschen mit Voodoo-Kräften und mit der islamistischen Terrororganisation Boko Haram.

In Berlin lebt er zunächst auf der Straße, wo ihm angeblich das Gepäck nebst dem nigerianischen Pass gestohlen werden. Als Asylbewerber landet er zunächst in München und später in Mammendorf. 2014 wird ihm der Bescheid über den abgelehnten Asylantrag zugestellt. Der 41-Jährige kann wegen fehlender Ausweispapiere aber nicht abgeschoben werden. Dass er sich um diese kümmern muss, machen ihm Vertreter der Ausländerbehörde im Landratsamt mehrmals klar. Doch der 41-Jährige erkennt entweder nicht, dass er sich strafbar macht, wenn er sich nicht wirklich um einen Ausweis bemüht, oder er nimmt das Risiko schlicht in Kauf. Denn die immer wieder viertel- oder halbjährigen Duldungen sind immer noch besser als die Abschiebung in die Heimat. Er belegt Sprachkurse, bemüht sich um die Integration und schafft es, in eine - weitgehend unbezahlte - Umschulungsmaßnahme der Bahn aufgenommen zu werden.

Offenbar erst als ihm 2017 ein Strafbefehl ins Haus flattert und ihm im August in einem ersten Gerichtsverfahren die Dringlichkeit deutlich gemacht wird, lässt er ein ernsthaftes Interesse erkennen, bei der Botschaft in Berlin einen neuen Pass zu beantragen. Das Landratsamt bezahlt die Tickets für die Zugfahrt im September. Ob der 41-Jährige dort überhaupt alle erforderlichen Dokumente vorlegt oder das von der Botschaft gar nicht verlangt worden ist, lässt sich nicht klären. Dem Richter legt der gebürtige Nigerianer jedenfalls eine Bescheinigung der Botschaft über die erfolgte Beantragung vor und die Bestätigung, dass er sich bis zur Aushändigung des Personaldokuments auf unbestimmte Zeit gedulden möge. Um zu verhindern, dass der Angeklagte den Pass bereits besitzt, ihn aber wegen der drohenden Abschiebung nicht vorlegen will, sichert der als Zeuge geladene Vertreter der Ausländerbehörde zu, nun bei der Botschaft nachzufragen.

Wie aber urteilen in diesem Fall? Darf man einen integrations- und arbeitswilligen sowie unbescholtenen Menschen bestrafen für die Verschleppung der eigenen Abschiebung? Auch Steigmayer kämpft sichtlich mit sich. Letztlich reduziert er die von der Staatsanwältin geforderten 120 Tagessätze à zehn Euro auf 70. Die können von dem auf Sozialleistungen angewiesenen Mammendorfer in Raten abgestottert oder durch gemeinnützige Arbeit abgeleistet werden.

© SZ vom 22.03.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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