Freiwillige gesucht:Leichter lernen

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In der Übergangsklasse von Lehrerin Simone Schock (r.) hilft Lesepatin Elaine Reutlinger (l.) als Ehrenamtliche, damit Kinder wie Muhamad, 14, Khalid, 11, (beide aus Syrien) und Abbas, 12, aus Sierra Leone (v.l.) besser Deutsch lernen. (Foto: Alessandra Schellnegger)

Ehrenamtliche Helfer entlasten die Schulen. Davon profitieren alle, auch sie selbst

Von Melanie Staudinger

"Ich war an einem Punkt in meinem Leben angekommen, an dem ich gerne etwas zurückgeben wollte", sagt Elaine Reutlinger. Viele Jahre lang hat sich die gebürtige Engländerin um ihre fünf Kinder gekümmert, die zwischen acht und 18 Jahre alt sind. "Ich war so lange Hausfrau mit allen Höhen und Tiefen, ich habe so viele Kompetenzen erworben in dieser Zeit und meine Perspektive erweitert", sagt sie. Warum also sollten nicht andere Kinder, die nicht so viel Glück hatten in ihrem Leben, nicht von ihrer Erfahrung profitieren? Per Zufall stieß die Ehrenamtliche in spe auf die Freiwilligen-Agentur Tatendrang. Die suchte für ihr Programm "Lese- und Sprachpaten" engagierte Münchner, die Lust haben, sich mit Kindern, die noch nicht so gut Deutsch sprechen oder Probleme mit dem Lesen haben, zu beschäftigen.

Ungefähr zur gleichen Zeit merkte Simone Schock, dass ihr ein wenig Unterstützung gut tun würde. Die junge Frau unterrichtet an der Mittelschule an der Perlacher Straße in Giesing eine Übergangsklasse: 21 Schüler von zehn bis 14 Jahren, eine bunte Mischung aus aufgeweckten jungen, begabten Menschen und traumatisierten Kindern, die zuvor noch nie einen Stift gehalten haben. Manche sind schon ein paar Monate in Deutschland, einige erst wenige Wochen. Ein Teil ist aus der EU zugewandert, andere kamen auf dramatischen Wegen als Flüchtlinge nach München. Sie alle haben eine Sache gemein: Sie sprechen nicht besonders gut Deutsch, wollen es aber lernen. "Halbtags hilft mir eine Sozialpädagogin", sagt Schock. Doch auch wenn sie zu zweit sind: Für eine richtige Förderung, für intensives Üben mit jedem einzelnen Kind bleibt bei 21 Schülern zu wenig Zeit. Ein weiteres Problem in der Klasse: Die Fluktuation ist hoch, mitten im Jahr kommen neue Schüler hinzu, andere wiederum werden abgemeldet, weil sie abgeschoben werden sollen oder freiwillig in ihre Heimat zurückkehren.

Die Freiwilligen-Agentur Tatendrang brachte Elaine Reutlinger, die selbst einen Migrationshintergrund hat, und die Schüler von Simone Schock zusammen. Reutlinger betreut fünf Kinder, eines erhält Einzelunterricht, die anderen kommen jeweils zu zweit. "Manchmal spielen wir nur, manchmal singen wir ein Lied, manchmal schreiben wir einen Brief", erzählt die Ehrenamtliche. Hauptsache, es macht Spaß und die Kinder sprechen dabei Deutsch. Eine Ergänzung zum Unterricht, von dem die Kinder auch deshalb profitieren, weil es jemanden gibt, der nur für sie da ist. Und auch für Elaine Reutlinger ist es schön zu sehen, dass all die Dinge, die sie sich als Mutter angeeignet hat, noch immer nützlich sind, auch wenn die eigenen Kinder längst zu groß dafür sind.

Ohne Ehrenamtliche würde die Arbeit in den Grund- und Mittelschulen viel schwieriger sein. Tatendrang schickt Lesepaten, der Verein Brotzeit von Uschi Glas rekrutiert Integrationshelfer und der Münchner Lehrerverband hat gut 100 Paten für Übergangsklassen gefunden, die Geld für Fahrkarten, Sportklamotten oder Ausflüge zur Verfügung stellen. Die Anforderungen an Freiwillige sind nicht hoch: Sie sollten tagsüber Zeit haben, Freude am Umgang mit Kindern und Jugendlichen haben, Empathie und Offenheit für andere Kulturen zeigen und bereit sein, sich für mindestens ein Schuljahr zu engagieren.

Während Schüler und Lehrer sich gerade in die Sommerferien verabschiedet haben, sucht Tatendrang bereits nach Ehrenamtlichen für das nächste Schuljahr. Kooperationen gibt es mit 49 Grund- und Förderschulen sowie fünf Mittelschulen. Vor allem im Westend, in Moosach, Aubing, der Isarvorstadt, in Sendling, Bogenhausen, Berg am Laim, Ramersdorf, im Hasenbergl und in Freimann gibt es einen hohen Bedarf. Elaine Reutlinger kann das Engagement nur jedem empfehlen: "Es gibt einem unglaublich viel, auch wenn das Kind nur das Wort Daumen in einer Stunde gelernt hat. Denn dann weiß es eben, was ein Daumen ist."

Weitere Informationen bietet die Agentur Tatendrang am Mittwoch, 9. August, um 16 Uhr in ihren Räumen an der Liebherrstraße 5.

© SZ vom 31.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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