39 Jahre als Kirchenmusiker:"Jede Orgel ist eine eigene Persönlichkeit"

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Kirchenmusikdirektor Wolfgang Kiechle bei der Arbeit. 39 Jahre dauert sein Wirken auf dem Domberg. In einem Jahr tritt er seinen Ruhestand. (Foto: Marco Einfeldt)

Seit 39 Jahren ist Wolfgang Kiechle Kirchenmusikdirektor auf dem Freisinger Domberg. In einem Jahr geht er in Ruhestand und plant bereits sein letztes Weihnachtskonzert. Seine geheime Leidenschaft aber gilt einer anderen Musikrichtung.

Interview von Rebecca Seeberg, Freising

In einem der hohen Räume der ehemaligen Residenz der Freisinger Fürstbischöfe befindet sich Wolfgang Kiechles Büro. Seit 39 Jahren ist der studierte Kirchenmusiker, Organist und Lehrer für Schulmusik schon in seinem Amt und es scheint fast so, als hätte er noch nie einen Tag Pause gehabt - es aber auch nicht gebraucht.

Mit strahlenden Augen erzählt er von seinen geplanten Konzerten, beginnt bei jedem neuen Programmpunkt mit dem begeisterten Satz . "Und das ist was besonderes Schönes" und ist, wie es scheint, ganz in seinem Element. In der Ecke steht ein grünes Spinett, gegenüber ein Klavier und dahinter - eine an einem Gestell aufgehängte Wirbelsäule.

SZ: Herr Kiechle, was hat die menschliche Anatomie mit Musik zu tun?

Wolfgang Kiechle: Viel. Das Ausbalancieren des Kopfes auf der Wirbelsäule spielt zum Beispiel eine große Rolle. Die richtige Haltung, das richtige Bewusstsein zu seinem Körper hat einen unglaublichen Einfluss auf die eigene Stimme, auf die Bewegung und auch auf das eigene Handeln. Ich bin ausgebildet in der so genannten Alexander-Technik, die genau das fördern soll. Auf Englisch heißt die Schule auch "The use of yourself." Ich gebe Kurse dazu im Kardinal-Döpfner-Haus.

Neben Ihrer Tätigkeit im Bildungszentrum sind Sie aber vor allem als Kirchenmusiker bekannt. Wie kam es dazu?

1976, mit 26 Jahren, hatte ich bereits ein umfangreiches Musikstudium an der Musikhochschule München absolviert. Ich hatte ein abgeschlossenes Studium in Schulmusik, sowie im Hauptfach Orgel und habe anschließend noch mein Examen in Kirchenmusik A gemacht. Das bedeutete also, dass ich in höchstdotierten Stellen arbeiten konnte. Mit drei Staatsexamen in der Tasche bewarb ich mich für die Stelle am Freisinger Dom, die ebenfalls zu einer der eher raren A-Stellen gehörte, und wurde angenommen.

Das Amt war also sicherlich begehrt?

Schon, doch ich hatte den Vorteil, dass ich sowohl Kirchenmusiker, als auch Lehrer war. Denn nachdem 1968 das alte Priesterseminar abgeschafft wurde, wurde unter anderem auch der Posten des Kirchenmusikers umstrukturiert. Dieser sollte nämlich von da an sowohl für die Musik, als auch für die Bildungsarbeit im schon bestehenden Bildungszentrum für Erwachsene zuständig sein. Diese Stelle, deren Aufgaben so breit gefächert sind, gibt es so nirgendwo anders.

Können Sie Ihre Arbeit genauer beschreiben?

Laut Vertrag sollte ich ein Drittel meiner Arbeitszeit auf Bildungsarbeit konzentrieren und zwei Drittel auf die Dom-Musik. Diese teilt sich wiederum in zwei Bereiche auf. Einerseits in die Gestaltung der Liturgie, andererseits in Konzerte. 1976 startete ich mit einem Domchor von genau 18 Sängern. Die Kirchenmusik, die seit 1968 nur wenig gepflegt worden war, habe ich Stück für Stück ausgebaut, das heutige große Angebot musste sich erst einmal entwickeln. Im Laufe meiner Arbeit als Kirchenmusiker habe ich viele unterschiedliche Ensembles gegründet. Außerdem unterrichte ich noch in den Fächern Generalbass und Partiturspiel an der Musikhochschule München und bin Orgelsachverständiger in der Diözese. Ich mache also Gutachten bei kaputten Orgeln und gebe Empfehlungen, was repariert werden sollte.

Wie kriegen Sie alle Ihre Tätigkeiten unter einen Hut?

Das ist tatsächlich manchmal schwierig. In der Osterzeit waren wir natürlich sehr in die Begleitung der Liturgie eingebunden, wo dann Konzerte eher zu kurz kommen. An der Stelle vielleicht ein kleiner Hinweis auf meinen Nachfolger: Der wird dann tatsächlich "nur" die Dom-Musik übernehmen. Für die Arbeit im Döpfner-Haus wird es einen eigenen Referenten geben.

Denn Sie sind ja für beide Teilbereiche zuständig. Was beinhaltet ihre Bildungsarbeit?

Ich bin hier pädagogisch tätig, halte also musische Seminare für Erwachsene, wie "Ein Wochenende mit Mozart" oder "Keine Angst vor moderner Musik". Ein weiteres Angebot des Bildungszentrums ist zum

Beispiel das Domberg-Kammerorchester. Außerdem gebe ich Seminare im Bereich Körperdynamik, zu denen ich natürlich auch immer wieder Referenten einlade. Selber referiere ich über die Alexander-Technik. Außerdem findet hier jeden Sommer die musische Werkwoche statt, zu der bis zu 100 Teilnehmer kommen und wirklich alles dabei ist: Malen, Tanzen, Dichten, Chormusik, Sologesang und natürlich auch körperdynamische Kurse, um nur einiges zu nennen. Für mich ist das immer eine wunderbare Woche, in der alle Gänge mit Musik erfüllt sind und das ganze Haus lebendig wird.

Sie erwähnten vorhin ihren Nachfolger. Werden Sie demnächst in Rente gehen?

In einem Jahr werde ich mein Amt als Kirchenmusiker niederlegen. Bis dahin sind aber noch einige Höhepunkte geplant. Unter anderem werden wir im Winter das Weihnachtsoratorium aufführen, was auch eines der letzten großen Konzerte zusammen mit dem Domchor und dem Orchester sein wird. Außerdem habe ich aus der Bibliothek eine handschriftlich niedergeschriebene Missa Solemis des Freisinger Hofkomponisten Placidus von Camerloher ausgegraben, habe es für unseren Chor und unser Orchester arrangiert und veröffentlicht. Im Sommer werden wir eine CD dazu aufnehmen, was mich auch ein bisschen stolz macht.

Was macht Sie noch stolz, wenn Sie auf Ihren bisherigen Werdegang als Musiker zurückblicken?

Der Applaus nach einem schönen Konzert, meine erfolgreiche 39-jährige Amtszeit. Meine Arbeit ist wie eine Blüte, die jedes Jahr immer wieder anders aufblüht und dabei ihre schönsten Seiten zeigt. Besonders stolz bin ich aber auf meine Familie.

Haben Sie Ihre Musikalität auch an Ihre Kinder weitergegeben?

Meine Kinder sind oft zu Konzerten oder Proben mitgekommen, auch weil man als Kirchenmusiker an den Feiertagen nie frei hat. So sind sie ganz natürlich in das musikalische Leben rein gewachsen. Gezwungen haben wir sie nie zum Musizieren. Thomas, der Älteste, wusste aber zum Beispiel schon als Kindergartenkind, dass er Trompete spielen will und ist jetzt Trompeter des Symphonieorchesters des Rundfunks. Beate, meine Zweitälteste, hat Traversflöte und Operngesang studiert. Stephan ist in eine ganz andere Richtung gegangen. Er hat E-Bass gelernt, ist in einer Band und spielt bis jetzt noch hobbymäßig.

Interessieren auch Sie sich für andere Musikrichtungen?

Ich bin allen Musikstilen gegenüber offen. Jazz ist aber meine geheime Leidenschaft. Da bin ich dann eher Hörer. Aber so etwas wie "Take 5" von Brubeck kann ich auch spielen, das macht einfach sehr viel Spaß.

Ist für Sie Orgelspielen die Königsdisziplin?

Auf jeden Fall. Es heißt ja auch, dass die Orgel die Königin der Instrumente ist. Schon als Kind war ich davon fasziniert. Mein damaliger Klavierlehrer war zusätzlich Organist meiner Heimatpfarrei und eines Tages

meinte er: "Wolfgang, jetzt gehst mit und schaust mal, wie ich Orgel spiele." Und dann ist mir der Unterkiefer vor Staunen runter geklappt. Orgel zu spielen ist immer wieder faszinierend und nie langweilig, denn jede Orgel ist eine eigene Persönlichkeit. Außerdem erfordert das Spiel sehr viel Können und Übung, denn man muss dabei Kopf, Hände und Füße einsetzen.

Wo üben Sie denn? Sie können sich ja kaum eine Orgel in ihr Wohnzimmer stellen.

Manche Organisten kaufen sich eine elektronische Orgel. Zu Hause fehlt aber die Atmosphäre einer Kirche. Das macht was aus, denn der Klang wirkt plötzlich ganz anders. Da ich sowieso fast jeden Tag am Domberg bin, gehe ich oft abends, wenn der Dom geschlossen ist, auf die Orgelempore, um zu spielen.

Was denken Sie dann?

Das ist schon ein besonders Gefühl. Ich werde oft gefragt: "Hast du nicht Angst, dass der Korbinian aus der Krypta kommt?"

© SZ vom 20.04.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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