Vor Chorproben wird regelmäßig meditiert:"Die Stimme ist die Seele des Menschen"

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Mit ihrem Gesang möchte Angelika Polland die Menschen berühren. Ihre Zuhörer könnten aus der Musik Kraft schöpfen, meint die Musiklehrerin. (Foto: Marco Einfeldt)

Musiklehrerin Angelika Polland bezeichnet ihren Beruf als beste Kraftquelle ihres Lebens. Den Unterricht beginnt sie stets mit dem Singen eines Liedes. Für besonders schönen Gesang gibt es als Belohnung schon mal Gummibärchen

Interview von Katharina Aurich, Freising

Die Musiklehrerin Angelika Polland unterrichtet etwa 400 Schüler an zwei Schulen. Eine rege Konzerttätigkeit führte sie immer wieder ins Ausland, fast 20 Jahre lang sang sie als Alt-Solistin in der Münchner Dommusik. Angelika Polland ist am 6. Dezember um 19 Uhr in der Haager Sankt Laurentius Kirche beim Adventskonzert des Kulturvereins nach dem Christkindlmarkt zu hören. Sie singt unter dem Motto "Impressionen aus Bethlehem alte weihnachtliche Lieder. An der Orgel und am E-Piano begleitet sie Martin Poruba, Organist von Sankt Georg, Freising.

SZ: Würden Sie den Beruf der Musiklehrerin aus heutiger Sicht noch einmal wählen?

Polland: Ja natürlich. Obwohl die Musikstunden oft am Nachmittag stattfinden, wenn die Schüler müde sind und Musik meist nur eine Stunde pro Woche auf dem Stundenplan steht. Ich versuche, die Jugendlichen da abzuholen, wo sie gerade sind. So beginnt mein Musikunterricht immer damit, dass wir gemeinsam ein Lied singen, das ist ein guter Einstieg.

Durch die digitale Revolution hat sich viel verändert, Musik aus der Konserve ist immer und überall verfügbar.

Das stimmt. In meiner Kindheit haben wir zu Hause viel gesungen und uns während der Urlaubsfahrten im Auto mit Singen die Zeit vertrieben. Das ist heute undenkbar.

Wie bekommen Sie Ihre Schüler dazu, im Unterricht in der siebten Stunde mitzumachen?

Ich ködere sie mit einem aktuellen Hit, zum Beispiel einem Lied aus dem Film "Die Kinder des Monsieur Matthieu". Filmmusik kommt immer gut an, auch wenn es sich wie in diesem Fall um ein sehr altes Lied von J.Ph. Rameau handelt. Da ich weiß, wie man mit Stimme umgeht, fällt es mir leicht, dies auch zu vermitteln oder vorzusingen. Häufig arrangiere ich die Noten so um, dass sie auf meine Schüler passen. Im Chor der Mädchenschule und in den Mittelstufenklassen gibt es ja keine Männerstimmen.

Welches Rezept können Sie außerdem für einen konzentrierten Musikunterricht oder Chorproben empfehlen?

An der Münchner Mädchenschule meditieren wir vor den Chorproben, die Schülerinnen liegen auf dem Teppich und spüren ihren Atem, er ist die Basis für den Gesang. Ich besteche meine Schüler manchmal: Wenn sie so schön singen, dass ich eine Gänsehaut bekomme, erhalten sie ein Gummibärchen. Das funktioniert noch bei Zehntklässlerinnen. Bei schwierigen Schülern wirken manchmal Aufführungen Wunder. Wenn sie auf der Bühne stehen und gemeinsam ihr Können zeigen, das stärkt ihr Selbstbewusstsein und vor allem den sozialen Zusammenhalt.

Als Musiklehrer ist man ja Alleinunterhalter . . .

Musik zu unterrichten, ist wahnsinnig anstrengend. Denn die Schüler erarbeiten sich ja nicht eine Zeit lang etwas selbst aus einem Buch oder aus Materialien, so dass es eine Zeit lang ruhig ist im Klassenzimmer. Ich muss immer präsent sein. Dazu kommt erschwerend, dass die wenigsten Kinder eine musikalische Vorbildung haben oder gar Noten kennen. Von 30 Schülern spielen vielleicht acht ein Instrument, das ist sehr wenig und sehr schade.

Wie war das vor 30 Jahren?

Als ich begann, am Moosburger Gymnasium zu unterrichten, hatte ich zwölf Stunden nur für den Geigenunterricht zur Verfügung. Da gab es ein Schulorchester mit über 30 Streichern. Das ist vorbei. Die Jugendlichen haben keine Zeit mehr für freiwillige Aktivitäten, es wird kaum noch gesungen, Musik kommt aus der Konserve.

Warum ist Singen und Musizieren so wichtig?

Die Stimme ist die Seele des Menschen, die direkt aus ihm heraus kommt. Anders ist es, ein Instrument zu spielen, das ist nicht ganz so unmittelbar. Wenn ich singe, bemerkt der Zuhörer jede kleinste Veränderung, auch jede kleinste Erkältung ist sofort zu hören. Wer singt oder musiziert, beschäftigt sich mit sich selbst, kann sich ausprobieren und viel über sich selbst lernen.

Sie sind nicht nur Lehrerin, sondern auch Profi-Sängerin, wie kam es dazu?

Ich habe schon immer in Chören am Lichterloher und im Asamchor gesungen. Nach meinem Theologie- und Schulmusikstudium riet mir ein ausgebildeter Sänger, mehr aus meiner Stimme zu machen. Daher belegte ich neben meinem Job als Musiklehrerin Gesangsstunden, unter anderem bei der griechischen Mezzosopranistin Daphne Evangelatos, und studierte Operndarstellung im Münchner Opernstudio Gernot Heindl.

Sie singen in bekannten Konzertsälen und Kirchen?

Ich habe fast 20 Jahre als Alt-Solistin in der Münchner Dommusik gesungen, arbeitete mit den "Münchner Symphonikern", den Barockorchestern "L'Arpa Festante" und der "Neuen Hofkapelle München". Außerdem sang ich an der Oper von Kairo und in Italien, in Deutschland in Leipzig mit den "Thomanern", dem Gewandhausorchester. Zuletzt war ich Alt-Solistin im Ensemble "Choralis", das sich leider aufgelöst hat. Immer wieder singe ich während Gottesdiensten oder Messen, besonders natürlich jetzt in der Vorweihnachtszeit.

Warum singen Sie am liebsten Lieder und was möchten Sie beim Zuhörer dabei bewirken?

Bei Liedern kann ich selbst entscheiden, was ich singe und mir für die Liederabende die Stücke zusammen stellen. Leider singe ich aus Zeitmangel nicht mehr viele Solokonzerte. Ich möchte Menschen mit meinem Gesang berühren, man erreicht mit der Musik nie alle Zuhörer, aber wenn jemand wegen meines Gesanges nur zehn Minuten lang ein anderer Mensch ist, dann habe ich viel bewirkt. Meine Zuhörer können aus der Musik Kraft schöpfen, aber auch von den Inhalten bewegt werden. Es gibt ja tolle Texte, zum Beispiel von Goethe, die dann von großen Musikern kongenial vertont wurden. Auch Johann Sebastian Bach hat wunderbare Sachen komponiert. Ein großer Wunsch von mir ist, die Matthäus Passion, ein Oratorium vom Leiden und Sterben Jesu Christi nach Matthäus, zu singen. Im Grunde betreffen diese Themen jeden und berühren alles Wesentliche in unserem Leben.

Woher nehmen sie die Kraft für diesen vielfältigen Beruf?

Mein Beruf macht mir viel Freude, er ist mein Leben. Das ist wahrscheinlich die beste Kraftquelle. Unterstützung finde ich in der Familie. Schließlich sorge ich gut für mich, koche, esse gut und arbeite gerne in meinem Garten.

© SZ vom 23.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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