Unterhaltsam und brandaktuell:Herzergreifend

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"Das Schloss" von Franz Kafka lieferte den Hintergrund für eine szenische Lesung im Furtnerbräu. (Foto: Marco Einfeldt)

Regisseur Thomas Goerge stellt seine Inszenierung von Kafkas Romanfragment "Das Schloss" im Furtnerbräu vor. Er überträgt es in die Gegenwart und schildert darin das Schicksal von Flüchtlingen, auch das seiner eigenen Familie

Von Katharina Aurich, Freising

Die Werke von Franz Kafka sind keine leichte Kost. Was Thomas Goerge aber mit seiner szenischen Lesung "Das Schloss" an zwei Abenden im Furtnerbräu zeigte, war unterhaltsam, mitreißend und vor allem brandaktuell. Denn der Theaterregisseur, der zur Zeit in Trier und Halle an der Saale inszeniert, nahm das Romanfragment von Kafka zwar als Grundlage, erweiterte es aber mit dem Gedicht "Vereinsamt" von Friedrich Nietzsche, Bürokratenwitzen, einem Bericht von der Flucht seiner Großmutter, den sein Vater Rudolf Goerge vorlas, sowie einer aktuellen Fluchtgeschichte über Lampedusa, Rakka und Idomeni, die der Hauptdarsteller, Herr K., vortrug.

Lionel Poutiaire Some spielte als Zentrum des Stücks diesen K., - elegant, emotional und kraftvoll. Die Bühne dieses bemerkenswerten Abends bildeten zwei nebeneinander stehende Tische im Furtnerbräu, an denen die elf Schauspieler saßen: fast alle Mitglieder der Familie Goerge sowie deren Freunde. Das Romanfragment "Das Schloss", in dem Kafka 1922 den vergeblichen Kampf des Landvermessers K. um Anerkennung seiner beruflichen und privaten Existenz durch ein geheimnisvolles Schloss und dessen surreale Vertreter schildert, die sich an einem Wirtshaustisch treffen, sei wahnsinnig aktuell, erläuterte Goerge. Zumal man in Freising assoziieren könne, oben sei der Domberg, wie das Schloss, und unten stehe das Wirtshaus, der Furtnerbräu, in dem sich allerlei merkwürdige Gestalten samt dem Landvermesser Herrn K. zufällig treffen. Man könnte auch sagen, dass mit dieser Inszenierung die Familiengeschichte der Goerges aufgearbeitet werde, so der Regisseur. Aber fast jede Familie habe in ihrer Vergangenheit eine Flucht erlebt. Die Ressentiments gegen alles Fremde, Konflikte, die auftauchen, wenn man in einem fremden Land Fuß fassen möchte, das war alles schon da, es sei nichts Neues.

Rudolf Goerge, der den Schloss-Vorsteher spielte, las den Bericht seiner Mutter, der Großmutter des Regisseurs, über ihre Flucht mit den Kindern bei minus 25 Grad von Ostpreußen nach Deutschland vor und wie die Familie erst allmählich in Freising heimisch wurde. Seinen Großvater hat Thomas Goerge nie kennengelernt, er wurde nach dem Zweiten Weltkrieg vermisst. Ein Foto von ihm war in der Inszenierung präsent, denn die Schauspieler zogen Masken auf und eine zeigte das letzte Foto des Verschollenen. Die surrealen Masken seien ein simples Mittel, um in die Illusion zu führen, auf Kostüme habe er verzichtet, das würde nur ablenken, erläuterte der Regisseur. Im Hintergrund der zwei Mal ausverkauften Inszenierung liefen Filme in schwarz-weiß, welche die Zuschauer nur aus den Augenwinkeln wahrnahmen.

Goerge hatte auf Lampedusa gedreht, er wollte mit eigenen Augen sehen, was sich auf der Insel an Flüchtlingsdramen abspielt. Während die von den Schauspielern vorgetragenen Textfragmente noch Abstand zum Stück ermöglichten, traf das, was Lionel Poutiare Some als Herr K. sagte, mitten ins Herz. Denn er las und spielte nicht nur Kafkas Texte, sondern erzählte seine eigene Geschichte als Fremder in Deutschland. Goerge lernte seinen Some in dessen Heimat Burkina Faso kennen, wo er eine Ausbildung als Kameramann abschloss. Mittlerweile studiert Some an der Filmhochschule in Köln und erhielt für einen seiner Filme den Oskar für Studenten. Goerge arbeitet häufig bei seinen Inszenierungen mit ihm zusammen und hatte ihn in die Konzeption der Inszenierung des Schlosses mit einbezogen. Während der Roman bei Kafka unvollendet bleibt, gab es bei Goerge ein Happyend. "Das gibt es auch bei uns im realen Leben. Man muss nicht immer den Finger in die Wunde legen, denn Wunden heilen auch", erklärt der Regisseur. Am Ende überreicht seine Nichte Emma Rentz alias Hans dem Herrn K. ein Schokoladenherz und umarmt ihn. Goerge, der viele Bühnen in Deutschland kennt, war voll des Lobes über den Furtnerbräu, dessen Mitarbeiter sein Projekt professionell begleiteten. "Das ist eine Perle in Freising, die beschützt gehört."

© SZ vom 09.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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