Szenische Lesung:Eine ganz besondere Atmosphäre

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Noch immer aktuell: "Der Verschollene" von Franz Kafka beleuchtet ein Migranten-Schicksal, Saal Aljafry, einer der Darsteller (Bildmitte), ist selbst aus dem Irak geflüchtet. (Foto: Marco Einfeldt)

Thomas Goerge schätzt das Ambiente im "Furtner" und inszeniert dort mit "Der Verschollene" ein zweites Kafka-Stück - mit dem Darsteller Saad Aljafry, der selbst aus dem Irak geflohen ist, bekommt die Inszenierung einen aktuellen Dreh

Von Katharina Aurich, Freising

Es war eine ungewöhnliche Inszenierung. Dicht gedrängt haben die Zuschauer im Jagdzimmer des Furtnerbräus die Aufführung von Franz Kafkas "Der Verschollene" verfolgt. Als "Bühne" dienten Thomas Goerge zwei lange alte Tische, nur durch einen schmalen Gang von den Zuschauern getrennt, hinter denen die Schauspieler saßen oder standen. Auch am zweiten Abend der szenischen Lesung mussten noch Sitzgelegenheiten hereingebracht werden, so groß war der Andrang.

Nach dem "Schloss" war dies Goerges zweites Kafka-Werk, das er im Furtnerbräu zeigte. Der Raum sei zwar ziemlich abgewrackt, aber er habe eine ganz besondere Atmosphäre, die zu seinen Stücken passe, sagte Goerge, der an Opernhäusern in ganz Deutschland arbeitet. Sein Thema war wieder die Flucht, die Rolle von Kafkas Hauptperson Karl Rossmann las und spielte Saad Aljafry, der wegen seines Glaubens als Jeside im Irak verfolgt wurde und jetzt im Landkreis lebt. "Ich möchte mit meiner Inszenierung nicht nur unterhalten, sondern vor allem auch lokal globale Geschichten erzählen", schilderte Goerge.

In das Stück baute der Regisseur die Geschichte Aljafrys ein, der von seiner Flucht leise murmelnd auf arabisch berichtete, während Erzähler Michael A. Grimm laut die Übersetzung vorlas. Mit seiner tiefen Stimme erzählte Grimm nach jeder Szene den Fortgang der spannenden Kafka-Geschichte, die kein Ende hat. Als weitere Stilmittel wechselten die Protagonisten vor den Augen der Zuschauer ihre Jacken und Hüte und schlüpften in andere Rollen, sie sprachen im Sitzen, sprangen auf ihre Stühle oder hielten sich surreale, von Goerge selbst entworfene Pappmasken vor die Gesichter. Dazu flimmerte in einer Endlosschleife an der Raumdecke ein Amateur-Videofilm über New York, den ein Freund Goerges gedreht hat. Kafka selbst sei ein großer Kinofan gewesen und der "Verschollene" beinahe wie ein Drehbuch geschrieben, berichtete der Regisseur.

Die Geschichte beginnt auf einem Ozeandampfer, Karl Rossmann alias Saad Aljafry trifft dort auf den ungehobelten Heizer (Korbinian Goerge) und unverhofft auch auf seinen Onkel (Karl-Heinz Kirchmann). Der rüde und polternde Kapitän (Josef Reiml) will den Heizer entlassen, Rossmann mischt sich ein und versucht, für ihn Partei zu ergreifen. Kafkas Hauptperson sei ein "reiner Tor", der an Gerechtigkeit glaube, immer wieder daran scheitere, von anderen ausgenutzt und verraten werde, schilderte Goerge. Weitere Kapitel des Stücks spielen in Amerika in einem Hotel, wo Rossmann Arbeit findet und sich die Oberköchin (Anna-Barbara Grassl) seiner annimmt. Schließlich trifft er auf die beiden üblen, betrunkenen Landstreicher Robinson (Korbinian Goerge) und Delermarch (Lionel Poutaire Someé), die ihn überreden, in seinem Zimmer übernachten zu dürfen. Und schon ist der nächste Ärger da, Rossmann wird entlassen und landet selbst auf der Straße.

Weitere Mitwirkende in diesem bemerkenswerten, eineinhalbstündigen Stück sind Lukas, Paul und Gabriele Rentz, Frank Ramirez als Ansager, der auf einem Schiedsrichterstuhl über dem Geschehen thront, sowie Veronika Wiesheu in gleich drei Rollen. Untermalt wurde die Aufführung von Kompositionen von Georg Friedrich Händel, die Roland Goerge mit Frack und Zylinder am E-Piano spielte, sowie der glasklaren Stimme von Gabriele Goerge, die das Stück melancholisch ausklingen ließ. Jetzt warte noch das letzte der drei Hauptwerke Kafkas, "Der Prozess", auf eine Inszenierung, sagte der Regisseur.

"Der Verschollene" ist am Samstag, 3. März, um 20 Uhr auch im Mucca-Kreativquartier München, Schwere-Reiter-Straße 2, zu sehen.

© SZ vom 27.02.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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