SZ-Serie: 18/18, Folge 7:Schlüter vor 100 Jahren: Ein Unternehmen wie eine eigene Stadt

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Frauen bei der Arbeit in einem Industriebetrieb wie den Schlüter-Werken. Das war im Ersten und Zweiten Weltkrieg gang und gäbe. (Foto: Stadtarchiv)

2000 Arbeiter und stetige Expansion: Die Schlüter-Werke vor den Toren der Stadt waren lange erfolgreich. Heute steht an ihrer Stelle ein Einkaufszentrum.

Von Peter Becker, Freising

"Gebrauche deine Kraft, man lebt nur, wenn man schafft!" Das war das Motto von Anton Schlüter, der mitten im Ersten Weltkrieg vor den Toren der Stadt Freising eine Eisengießerei nebst Maschinenfabrik bauen ließ. So steht es in einer Festschrift, die Angestellte zu dessen 50. Geburtstag 1917 verfasst hatten. Zu diesem Zeitpunkt waren weite Teile der Industrieanlage bereits fertiggestellt. Der Grundstein war gelegt für ein Unternehmen, das im Landmaschinenbau lange Zeit führend sein sollte. An die alten Glanzzeiten erinnern aber heute nur noch die beiden Türme, die im Südwesten Freisings aus einem Gewerbegebiet nebst Einkaufszentrum emporragen. Der Enkel des Gründers, der ebenfalls Anton Schlüter hieß, hatte es versäumt, den Betrieb zu modernisieren. Er war auf dem Weltmarkt nicht mehr konkurrenzfähig.

Keimzelle der späteren Traktorenfabrik war eine kleine Reparaturwerkstatt, die Anton Schlüter 1899 an der Weißenburger Straße in München gegründet hatte. Das Drei-Mann-Unternehmen expandierte schnell. 1905 entstand an der Balanstraße ein Werk für Explosionsmotoren und Lokomobile. Auch dort wurde es dem am 13. Juni 1867 im sauerländischen Brilon geborenen Schlüter rasch zu eng. Er suchte nach einem geeigneten Gelände außerhalb Münchens und wurde in Freising fündig. Er kaufte dort die 1868 gegründete Maschinenfabrik Otto Schülein und ließ sie von den Firmen Heilmann & Littmann aus München sowie Alois Steinecker aus Freising zu einer Gießerei umbauen.

Die Chronisten schildern fasziniert, wie Rohstahlblöcke in glühende Öfen gelegt wurden

Es muss für die damaligen Verhältnisse ein beeindruckender Bau gewesen sein. Umso mehr, als er in Kriegszeiten entstanden ist. Die Verfasser der Festschrift von 1917 lobten "die künstlerisch einwandfreie Gruppierung der Anlage". Der Teil, der Aufträge für das deutsche Heer erfüllte, sei schon fertiggestellt, heißt es in der Schrift. Schlüter produzierte damals neben Motoren auch Granaten für den Krieg. Andere Flächen auf dem Gelände waren noch Baustellen und sollten erst im Lauf der nächsten Jahre bebaut werden.

Jahrhundert-Themen im Münchner Umland. SZ-Serie. (Foto: N/A)

Die Festschrift gewährt interessante Einblicke in die Arbeitswelt der Jahre 1917 und 1918. Die Chronisten schildern fasziniert, wie Rohstahlblöcke in glühende Öfen gelegt wurden. "Die Arbeiter erkennen an der Farbe der Blöcke, wann die richtige Temperatur erreicht ist", schreiben sie bewundernd. "Sie tragen Schutzhauben und Handschuhe gegen die Riesenhitze und Verbrennungen." Anschließend glitten die glühenden Blöcke zu Lochpressen, in denen sie dann in die Länge gezogen wurden. "Tag und Nacht geht das so", heißt es in der Festschrift. "Das ist bewundernswert, weil an den Riesenmaschinen nur Frauen tätig sind."

Die Rückkehr an den heimischen Herd fiel vielen Frauen schwer

Natürlich gab es auch Männer im Betrieb. Dies waren speziell ausgebildete Dreher, Schlosser und Schleifer, welche das benötigte Werkzeug herstellten. Ihre Kunstfertigkeit ersparte ihnen offenbar den Einsatz an der Front. Wahrscheinlich hätte man sie bald in der Fabrik entbehren können. Denn die Frauen waren geschickte Arbeiterinnen. Vermutlich hätten sie es bald zu derselben Kunstfertigkeit in der Werkzeugproduktion gebracht wie die Männer. Diese wären dann wohl auch an die Front geschickt worden, hätte der Krieg noch länger gedauert. Umso schwerer fiel es den Frauen, nach dem Friedensschluss wieder an den heimischen Herd zurückzukehren. Sie hatten sich behauptet, hatten gezeigt, dass sie imstande waren, ihre Familien zu ernähren. Nun mussten sie den heimkehrenden Männern wieder die Plätze an den Maschinen überlassen. Immerhin ein kleiner Trost: Im Jahr 1918 wurde den Frauen das Wahlrecht zuerkannt. Am 19. Januar 1919 konnten Frauen zum ersten Mal in Deutschland reichsweit wählen und gewählt werden.

Den Chronisten erschien das Schlüter-Werk wie eine eigene Stadt. Die Verpflegung so vieler Menschen bereitete in Freising Probleme. Wie in allen anderen Städten herrschte Mangel, die Versorgungslage war schlecht. Schlüter richtete deshalb eine Kantine mit Einheitsessen ein. Es gab Fleisch, Suppe und Gemüse für 40 Pfennig. Selbst Frau Schlüter sei beim Kochen und Austeilen der Speisen anwesend gewesen, heißt es. Sie hatte eigens einen Kochkurs in einer Münchner Volksküche absolviert. 1918 waren im Werk 2000 Arbeiter beschäftigt. Die Autoren der Festschrift sprechen zwar von einer Massenabfertigung, bei der auf den Geschmack des Einzelnen keine Rücksicht genommen werden könne. Dennoch dürften die Arbeiter froh gewesen zu sein, überhaupt etwas zum Essen zu bekommen. Das war in dieser Zeit nicht selbstverständlich. Und wer hungerte, der hatte wenig Abwehrkräfte, welcher er der Spanischen Grippe, die damals auch in Freising grassierte, entgegensetzen konnte.

1937 startete Schlüter den Traktorenbau, der ihn weltberühmt machte

Schlüter war unterdessen selbst Freisinger geworden. Er hatte 1912 die Schmidtbauermühle gekauft, das spätere "Schlütergut", auf dem heute Anlagen der Molkerei Weihenstephan stehen. 1917 wurde er aufgrund seiner karitativen und sozialen Verdienste zum Kommerzienrat ernannt. Von 1919 bis 1920 ließ er eine Siedlung mit preiswerten Wohnungen für seine Arbeiter bauen.

1937 begann Schlüter mit dem Traktorenbau, der ihn weltbekannt machen sollte. Nur der Zweite Weltkrieg bremste den Aufstieg des Familienunternehmens. Anton Schlüter starb am 2. März 1949. Zuvor schon hatte sein gleichnamiger Sohn die Geschäfte übernommen. Er starb 1957, so dass wiederum dessen Sohn Anton Schlüter die Verantwortung übernehmen musste. Zunächst mit großem Erfolg. Er verlegte sich ganz auf den Bau von Großschleppern mit mehr als 300 PS.

Ende der 19070er Jahre kam die Krise

Ende der Siebzigerjahre begann der Stern des Unternehmens zu sinken. Es gab Rückschläge: Noch 1978 hatte Schlüter den damals größten Traktor Europas, einen 500 PS starken Schlepper, vorgestellt. Der jugoslawische Staatschef Josip Broz Tito zeigte großes Interesse. Von ihm kam ein Auftrag, der jedoch nie umgesetzt wurde. Tito starb 1980, die Bestellung hatte sich spätestens 1990 erledigt, als der jugoslawische Staat zerfiel. Schlüter produzierte überdies zu teuer. Er hatte die fortschreitende Automatisierung und Modernisierung verpasst. 1991 untersuchte die Umweltschutzbehörde das Fabrikgelände und forderte eine neue Kanalisation sowie die Beseitigung von Altlasten. Schlüter konnte dies nicht mehr bewältigen. "1993 war das Ende der Produktion in Freising beschlossene Sache", heißt es in dem Buch von Bauer, Lüttmann, Tietgens "Schlüter Schlepper Prospekte 1936-1993".

Auf dem Schlüter-Gelände, vorne das alte Pförtnerhaus, im Hintergrund der denkmalgeschützte Turm, entsteht heute das neue Freisinger Kino. (Foto: Marco Einfeldt)

Lange Zeit blieb das Schlüter-Gelände vor den Toren Freisings eine Industriebrache. Bis sich der Weimarer Bauunternehmer Josef Saller dafür interessierte und 2008 einen Kaufvertrag abschloss. Er baute die einstigen Werkhallen zu einem Einkaufszentrum um. Eröffnet wurde es im November 2009. Selbst Heimatpfleger Norbert Zanker bezeichnete damals den Umbau als gelungen. Die Reaktionen in der Freisinger Bevölkerung waren aber gespalten. Noch ist das ehemalige Schlüter-Grundstück nicht ganz bebaut. Das Fachmarktzentrum wird derzeit erweitert. In dem Gebäude nebenan soll das neue, von den Freisingern sehnsüchtig erwartete Kino unterkommen. Es soll eigentlich im Frühjahr 2018 eröffnet werden. Doch nach vielen Verzögerungen am Bau könnte es bis zur Eröffnung noch etwas dauern.

© SZ vom 10.01.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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