SZ-Interview:"Die Träume der Menschen sind überall gleich"

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Die Lupe ist das wichtigste Werkzeug für Maren Haase, die in der ganzen Welt als Richterin bei Wettkämpfen der Bogenschützen unterwegs ist. (Foto: privat)

Als Kampfrichterin reist die Freisinger Bogenschützin Maren Haase um die ganze Welt - ihr großes Ziel ist nun Olympia. Besonders beeindruckt hat sie der Sportsgeist bei den Paralympics

Interview von Katharina Aurich, Freising

Disziplin, Körperbeherrschung, Konzentration und ein fester Stand sind die Voraussetzungen für einen guten Bogenschützen, zählt Kampfrichterin Maren Haase auf. Beim Wettkampf geht es darum, mit dem Pfeil möglichst nah in das Zentrum der Scheibe zu treffen. Die Schützen ziehen nach den Schüssen ihre Pfeile selbst heraus und geben an, in welchen Ringen sie steckten. Wenn es nicht eindeutig ist, ein Pfeil etwa am Rand gelandet ist, kommt Maren Haase, misst mit einer Lupe nach und verkündet die Wertung. Ihr Urteil sei unanfechtbar und noch nie in Frage gestellt worden, weder auf dem Schießplatz in Freising noch bei internationalen Wettkämpfen, sagt Haase.

SZ: Was begeistert Sie am Bogenschießen?

Haase: Die schönen und eleganten Bewegungen. Dazu kommt, dass Bogenschießen technisch sehr anspruchsvoll ist, man benötigt Kraft und Beweglichkeit. Beim Schießen befindet man sich wie unter einer Glocke, ist ganz bei sich, voll auf den Schuss konzentriert. Früher gehörte Bogenschießen zu den sogenannten "weißen" Sportarten wie auch Tennis und Golf, die man nur in weißer Kleidung ausführte. Dies unterstrich die Harmonie zwischen Mensch und Bogen. Heute dagegen ist kleidungsmäßig fast alles erlaubt.

Wie sportlich muss man zum Bogenschießen sein?

Man kann es auch praktizieren, wenn man nicht so fit oder sportlich ausdauernd ist, und lernen, sich ökonomisch und zielgerichtet zu bewegen. Beim Ausziehen des Bogens braucht man neben Kraft auch die richtige Technik. Schon wenn man den Pfeil auf den Weg schickt, spürt man, ob es ein guter Schuss wird. Diese immer wiederkehrende gleichmäßige Präzision, um die es bei jedem Schuss geht, ist ein schönes Gefühl. Anfänger schießen mit Bögen, die sich leicht spannen lassen, Geübte verwenden Bögen, für die man richtig kraftvoll ziehen muss. Dadurch wird besonders der Schultergürtel gekräftigt.

Welche Eigenschaften braucht eine gute Wettkampfrichterin?

Die Schützen brauchen Vertrauen zu mir, sie müssen wissen, dass ich fair urteile. Ich versuche, Selbstsicherheit auszustrahlen, der Schütze bleibt ja in seiner mentalen Glocke, um sich zu konzentrieren. Verunsicherung ist da ganz schlecht.

Bogenschützen sind Frauen und Männer gleichermaßen, aber Wettkampfrichter meist Männer - werden Sie in dieser Männerwelt anerkannt ?

Am Anfang war es schwer, wirklich sehr schwer, ich habe ja in Bayern mit dem Wettkampfrichten begonnen. Man machte mir den Vorwurf, zu streng zu sein. Bei nationalen Wettkämpfen wurde es besser und ich wurde als Frau mehr akzeptiert. Aber es ist immer noch so, dass mich männliche Schützen austesten und versuchen, mich aufs Glatteis zu führen - überall auf der Welt.

Wie kamen Sie zu den Paralympics?

Nachdem ich acht Jahre als europäische Kampfrichterin im Einsatz war, wurde ich gefragt, ob ich bei den Paralympics richten möchte. Das ist ein weiterer Schritt auf dem Weg zur olympischen Kampfrichterin. Ich habe mich gefreut und das Angebot gerne angenommen. 2015 war ich dann auch beim weltgrößten Turnier für Bogenschützen, dem Las Vegas Shoot, dabei.

Wie unterscheiden sich die Paralympics von anderen Wettkämpfen?

Bei den Paralympics blicke ich in die Seele der Menschen, jede Empfindung der Teilnehmer ist unglaublich intensiv - Angst, Freude, Konzentration. Jede Behinderung benötigt andere Hilfen. Es gibt Sportler mit einem Arm und ohne Beine, dann denke ich daran, was ihnen passiert ist. Andere Schützen sind US-Kriegsveteranen, sie haben auch Schreckliches erlebt. Bei den Paralympics in Rio im vergangenen Jahr lebte ich mit im Olympischen Dorf, es hat mich sehr berührt, wie die Menschen miteinander umgingen - so fair, respektvoll und voller Optimismus. Diesen Spirit habe ich noch nie erlebt.

Hat sich Ihr Leben durch die vielen Reisen und den Kontakt zu anderen Kulturen verändert?

Als Kampfrichterin arbeite ich ja immer mit Kollegen aus anderen Ländern zusammen. Nach dem Wettkampf werde ich oft zu ihnen nach Hause eingeladen oder ich habe auch hier in Freising häufig Gäste. Wir erleben hautnah die Ängste unserer Kollegen, wir wissen zum Beispiel nicht, was den türkischen Kollegen passiert, wenn sie wieder nach Hause kommen. Eine Schützin und Freundin aus dem Libanon ist nur knapp einem Bombenanschlag entronnen. Wenn wir Kollegen und Schützen aus Iran, Syrien oder der Türkei treffen, wissen wir nicht, ob wir sie je wiedersehen. Die Fernsehnachrichten treffen mich sehr persönlich und die Welt rückt näher.

Welche Erfahrungen sind Ihnen besonders wichtig?

Ich lerne mir völlig unbekannte Kulturen kennen, kürzlich war ich bei Freunden in Finnland und bekam als Festessen Bärenfleisch. Umgekehrt sind die skandinavischen Freunde begeistert von den Bierfestivals hier in Bayern. Sehr wohl und vor allem auch sicher gefühlt habe ich mich in Armenien, in der Hauptstadt Eriwan. Dort gibt es unglaublich viele Kunstschätze und die ganze Stadt duftete nach Rosen, weil überall üppige Pflanzen blühten. Die Träume der Menschen sind auf der ganzen Welt gleich, jeder möchte einen Job, dass es seinen Kindern gut geht und dass sie in Sicherheit und Frieden leben können.

© SZ vom 26.06.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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