Startbahn-Prozess:Heiße Tage im Moos

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Ein Experte lässt sich vor Gericht ausführlich darüber aus, was die Länge der Piste mit steigenden Temperaturen zu tun hat. Ein Pilot aber, der keine Warteschleifen in München kennt, muss seine Aussage abbrechen

Von Johann Kirchberger

Wieder was gelernt. Etwa, dass es ein "Amt für Ländliche Entwicklung Oberbayern" gibt, das zwar nicht ganz leicht zu erreichen ist, das aber über einen großen Sitzungssaal verfügt, in dem seit 21. März der 8. Senat des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs die Klagen gegen den Planfeststellungsbeschluss für die dritte Start- und Landebahn am Flughafen München verhandelt. In dem schmucklosen Raum gibt es neben vielen Stühlen und ein paar Tischen für die Richter nur einen Schrank. Dort verstaut die Flughafen GmbH ihre Unterlagen. Fenster gibt es nicht, abgesehen von ein paar schmalen Dachluken, versteckt hinter einer Kassettendecke. Bevor man in diesen Gerichtssaal darf, muss man sich einer strengen Leibesvisitation unterziehen, was tut man nicht alles. Die Akteure kennen sich offenbar gut, trotzdem ist alles schön aufgeteilt. Vom Richtertisch aus rechts sitzen die Vertreter der Flughafen GmbH, der Regierung von Oberbayern, des Luftamts Südbayern, der Flugsicherung und der Landesanwaltschaft, die mit beigeladenen Sachverständigen auf gut 40 Personen kommen und gleich mal ihre Laptops auspacken.

Links nehmen die drei Anwälte der Gegenseite Platz, dahinter sitzen die Vertreter des Bundes Naturschutz (BN) - der Manfred Drobny etwa, der einen ganzen Koffer voller Unterlagen mitgebracht hat - sowie Freisings Stadtdirektor Gerhard Koch, der Eittinger Bürgermeister und diverse Privat- und Musterkläger. Auch der kleine Leopold Riesch ist mitgekommen, er braucht noch keinen Stuhl, er darf sich in den Kinderwagen legen.

Als Richter Erwin Allesch, seine Beisitzer und die Protokollführerin kurz nach 10 Uhr in schwarzen Roben den Saal betreten, erheben sich alle brav von ihren Sitzen. Es ist der zehnte Verhandlungstag, über die Länge der Startbahn und Sicherheitsfragen soll es an diesem Dienstag gehen. An einem kleinen Tisch am Rand nimmt ein einzelner Mann Platz. Er hat keine Unterlagen, er macht sich keine Notizen und er sagt nichts. Er hört nur zu. Das sei der Ersatzrichter, wird einem zugeflüstert, falls Allesch etwas zustoßen sollte. Der 62-jährige Vizepräsident des VGH macht allerdings einen putzmunteren Eindruck und stellt erst einmal fest, wer denn da heute alles erschienen ist. "So ist das Leben, wir streben immer nach der Perfektion" kommentiert er eine kleine Korrektur des Protokolls vom letzten Mal. Um 10.25 Uhr geht es dann endlich los.

BN-Anwalt Uli Kaltenegger wartet mit einer Überraschung auf, er hat als "Beigezogenen" einen Piloten mitgebracht, der etwas sagen will zur angeblich so angespannten Situation in München, über Verspätungen, Warteschleifen und die notwendige Länge der dritten Startbahn. "Verspätungen haben wir eigentlich schon abgehandelt, aber mei . . .", begrüßt ihn Richter Allesch. Und fügt dann noch hinzu, dass er nichts dafür könne, "wenn's November wird", bis der Prozess beendet sei. "Was ist er denn für ein Pilot", fragt Allesch und erfährt, dass der für Air Berlin fliegt. Irgendwie scheint er aber ein wenig verärgert zu sein über diese Störung der Verhandlung. "Wir bewegen uns mit dem Tempo einer Schnecke fort", klagt er. "Sagt der eine dies, sagt der andere das", so Allesch. "Ich versuche Sie immer wieder zu bremsen", mahnt er die Anwälte, "aber das gelingt mir nur marginal".

Flughafenanwalt Volker Gronefeld springt sofort auf den Zug auf. Erneut über Verspätungen zu reden, führe nur zu Verzögerungen, erklärt er. Auch über die Startbahnlänge zu reden, hält er nicht für notwendig: "Ich wüsste nicht, was ein Pilot da sagen könnte". Ungeachtet dessen, dass er hinter sich eine Unzahl von Experten sitzen hat, verwahrt er sich dagegen, dass die Klägerseite "eine ganze Armada von Beigezogenen" aufbiete.

Irgendwie scheint aber plötzlich das Interesse von Richter Allesch geweckt zu sein. "Die Beteiligten äußern sich strittig", gibt er zu Protokoll und erteilt dem Piloten, der nicht namentlich in der Zeitung stehen will, das Wort. Der führt aus, dass er für Air Berlin im Cockpit eines Airbus 320 oder 330 sitze und in den 18 Jahren, in denen er den Flughafen München anfliege, genau dreimal in eine Warteschleife musste. An vielen anderen Flughäfen dagegen seien Warteschleifen fast schon die Regel. Weil in München alles so unproblematisch laufe, habe er auch nur für fünf Minuten zusätzlichen Sprit dabei, wenn er ins Erdinger Moos fliege.

Nun aber schreitet Allesch ein. Er befürchtet, der Pilot könnte für solche Aussagen Schwierigkeiten mit seinem Arbeitgeber bekommen, spricht von einer gewissen "Fürsorgepflicht", die er habe. Allesch unterbricht die Sitzung, will sich beraten. Die Zuschauer reagieren teilweise recht ungehalten darauf. "Da herinnen darf man nur lügen", sagt einer, "immer wenn einer die Wahrheit sagen will, wird unterbrochen." Andere Prozessbeobachter sind aber durchaus angetan von der Prozessführung des Richters.

Etwa, wenn er bei zu blumenreichen und unverständlichen Ausführungen eines Flughafen-Vertreters dazwischen geht und sagt, "ich unterbreche jetzt für eine Stunde und dann sagen sie mir das in drei Sätzen". Oder wenn er bei allzu vielen englischen Fachausdrücken einwirft, dass die Verhandlungssprache immer noch Deutsch sei. Auch, dass er diejenigen nicht besonders möge, wird erzählt, "die so viel reden und nicht auf den Punkt kommen". Eine halbe Stunde lang berät sich Allesch, dann kehrt er zurück und verkündet, dass er es "für keine gute Idee hält", den Beigezogenen weiter aussagen zu lassen. Der könnte sich nämlich nach Paragraf 17 UWG (Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb) des Verrats von Geschäfts- und Dienstgeheimnissen schuldig machen. Er, Allesch, wolle sich aber nicht zum Handlanger einer Straftat machen. Er werde den Piloten deshalb nicht weiter befragen, es sei denn, er könne eine Genehmigung seines Arbeitgebers vorlegen.

Nach einer weiteren Unterbrechung, bei der sich diesmal die Klägeranwälte zusammen mit Christine Margraf vom Bund Naturschutz beraten, verkündet Rechtsanwalt Kaltenegger, dass der Pilot versuchen werde, eine Aussagegenehmigung zu erhalten. Er sei durchaus neugierig auf das, was der Pilot aussagen könne, sagt Allesch noch, und fragt gleich mal "und was mach ma jetzt?".

Christine Margraf will über die Länge der Startbahn reden. Eine 4000 Meter lange Bahn sei nicht nötig, sagt sie. Die bräuchten nur die schweren Flieger und das auch nur beim Start. Laut einer Studie seien das im Jahr 2025 nur 13 Prozent, und außerdem solle die dritte Startbahn ja vorwiegend für Landungen verwendet werden. Um die Starts der Großflugzeuge abzuwickeln, seien die beiden vorhandenen 4000-Meter-Bahnen ausreichend. Bei einer kürzeren dritten könnte das Zubetonieren von wertvollem Vogelschutzgebiet verhindert werden. Gleichwohl fordere sie aber keine Verkürzung, "wir lehnen die dritte Bahn grundsätzlich ab, weil sie nicht notwendig ist".

Von da an wird die Verhandlung immer ermüdender und schwer verständlich. Landesanwalt Anton Meyer etwa spricht gestenreich von einer "grundsätzlichen Frage der Methodik und Anleitung der Erfordernisse einer dritten Startbahn". Auch FMG-Anwalt Gronefeld macht komplizierte Ausführungen und verweist immer wieder auf eingereichte Schriftsätze und die Seiten 815 und folgende im Planfeststellungsbeschluss, und Richter Allesch versucht, alles zusammenzufassen - für das Protokoll.

Dann kommt der Dresdner TU-Professor Hartmut Fricke zu Wort, der die Gesellschaft für Luftverkehrsforschung (GFL) vertritt und erklärt, dass Flughäfen in höher gelegenen Gebieten und dort, wo es besonders warm sei, wegen der geringeren Luftdichte weniger effektiv nutzbar seien. Dass München mit seinen 448 Metern gegenüber Frankfurt mit 110 Metern höher gelegen sei und deshalb Bahnen hier länger sein müssten. Eine physisch 4000 Meter lange Bahn in Frankfurt sei rein rechnerisch gegenüber München 4368 Meter lang, rechnet Fricke vor und hantiert mit Zahlen, wonach die "Bezugstemperatur" in Frankfurt 24,2 Grad betrage und in München zuletzt von 22,8 auf 24,0 Grad gestiegen sei. München sei, "statistisch gesehen, wärmer geworden". Die Bezugstemperatur, erfährt man dann noch, errechne sich aus dem heißesten Monat im Jahr. Nach dem Sinn dieser Ausführungen fragt niemand. Auf die Frage von Allesch, was denn eigentlich mit dem sehr hoch gelegenen Flughafen in Mexiko-Stadt sei, antwortet Fricke, dass dort eben die Nutzlast der Flugzeuge gesenkt werden müsse. Der Weisheit letzter Schluss ist schließlich die Erkenntnis, dass eine trockene Bahn besser funktioniere als eine nasse oder matschige. Gegen 13.30 Uhr ist erst einmal Mittagspause.

Danach kommt die Stunde von Rechtsanwalt Eike Schönefelder, der viele Attachinger vertritt. Warum der Abstand vom Kopfende der dritten Startbahn zum Flughafenzaun wesentlich kürzer ist als bei den bestehenden Bahnen, will er wissen. Was laut Diplomingenieur Eberhard vom Planungsbüro Dorsch Consult am Instrumentenlandesystem liegen soll. Schönefelder erzählt dann von einem Flugzeug, das vor einem Jahr in München über die Bahn hinausgeschossen sei, bis 20 Meter an den Zaun heran. Bei der dritten Startbahn wäre das Flugzeug auf besiedeltem Gebiet in Attaching gelandet, rechnet er vor. Und dann ist er sich wieder mit BN-Anwalt Kaltenegger einig, dass eine längere Startbahn kein Gewinn an Sicherheit sei. Gleichwohl stellt auch Schönefelder fest, dass er sich damit keineswegs für den Bau einer 2800 Meter langen Bahn aussprechen wolle, sondern nur feststelle, dass eine dritte Startbahn mit 2800 Metern ausreichen würde, um den Verkehr zu bewältigen. Weil auch die Gegenseite immer wieder Einwände zu Protokoll gibt und unermüdlich auf Schriftsätze verweist, wird die Diskussion immer verwirrender. "Heit geht's zaach", meint ein Prozessbeobachter. Stimmt.

© SZ vom 16.05.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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