Nach der Flucht:Behörden lassen Mutter und Tochter nicht zum Vater

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Betreten verboten: Die Behörden untersagten die Zusammenführung einer syrischen Familie in einer Flüchtlingsunterkunft. (Foto: Marco Einfeldt)

Rakan D. lebt seit einem Jahr in Deutschland. Als Frau und Tochter in Freising eintreffen, verweigern ihnen die Behörden den Zutritt zur Gemeinschaftsunterkunft des Syrers - ohne Helferkreis wären sie obdachlos.

Von Petra Schnirch, Freising

Der 4. Juni war für Rakan D. ein ganz besonderer Tag. Nach einem Jahr der Trennung konnte er am Flughafen im Erdinger Moos seine Frau und die zweijährige Tochter wieder in die Arme schließen. Mit Umweg über Jakarta in Indonesien war es den beiden überraschend schnell gelungen, ein Visum für den Familiennachzug zu erhalten. Er sei "überglücklich" gewesen, sagt D. Dass die folgenden sieben Wochen für seine Familie zu einer Odyssee ins Niemandsland werden sollten, konnte er da noch nicht ahnen.

Der 30 Jahre alte Syrer war vor einem Jahr über die Balkanroute nach Deutschland gekommen. Mit seiner Frau hielt er über Handy und Skype Kontakt. In Freising wohnte der Asylbewerber auch nach seiner Anerkennung in der Gemeinschaftsunterkunft im ehemaligen Stabsgebäude der Steinkaserne. Dort richtete der Helferkreis dann auch ein Zimmer für die kleine Familie her, wie Katharina Capric erzählt, die sich dort ehrenamtlich engagiert. "Für uns war klar, dass sie dort unterkommen, sie haben keinen Luxus erwartet." Doch Frau und Kind wurde der Zutritt verwehrt.

Frau und Tochter waren in Freising praktisch obdachlos

Wochenlang habe sie telefoniert und sich die Füße wund gelaufen, schildert Capric. Doch weder im Landratsamt noch in der Stadt sah man sich in der Lage, die Familie oder zumindest Frau und Tochter vorübergehend unterzubringen. Der Helferkreis organisierte für die 25-Jährige und ihre Tochter privat wechselnde Quartiere, damit die beiden nicht buchstäblich auf der Straße standen. Meist reichte der Platz nicht, um sie länger zu beherbergen, einmal spielte die Hausverwaltung nicht mit. Zwischendurch fuhren die beiden nach Stuttgart, da die 25-Jährige dort Verwandtschaft hat. Länger bleiben konnte sie aber auch dort nicht, weil sich die große Familie zwei Zimmer teilt. Mittellos und ohne feste Meldeadresse seien sie nicht einmal krankenversichert gewesen, sagt Katharina Capric.

Im Freisinger Landratsamt wartet man noch immer auf die Zustimmung der Regierung von Oberbayern, nachgezogene Familienmitglieder zumindest vorübergehend ebenfalls in den Unterkünften unterbringen zu dürfen. Grundsätzlich dürften in den dezentralen Häusern keine "Fehlbeleger" aufgenommen werden, erklärt Pressesprecherin Eva Dörpinghaus. Nur anerkannte Asylbewerber könnten dort solange bleiben, bis sie eine eigene Wohnung gefunden haben. Damit will man verhindern, dass sie auf der Straße stehen und die Kommunen sie einquartieren müssen.

Da aber nun Frau und Tochter praktisch obdachlos waren, habe man ihr im Landratsamt geraten, sich an die Stadt zu wenden, erzählt Katharina Capric weiter. Doch auch dort habe sich niemand zuständig gefühlt. Als sie mit der Familie ins Rathaus kam, habe man sich geweigert, den Fall zu bearbeiten, und eine politische Entscheidung gefordert.

Die Stadt ist mit der Bitte um Klärung auf den Landkreis zugegangen

Nach Auffassung der Stadt entspricht der Familiennachzug "nicht dem klassischen Fall" der Obdachlosenunterbringung mit einer plötzlichen, unerwarteten Wohnungslosigkeit. Es sei vielmehr eine Folge "einer vom Staat genehmigten Einreise". Die Stadt "ist auf den Landkreis zugegangen mit der Bitte um Klärung, wie generell" mit dem Thema umgegangen werden kann, sagt Christl Steinhart, Sprecherin der Stadt. Landrat und Oberbürgermeister "stehen in engem Kontakt". Katharina Capric glaubt, dass die Behörden keine Präzedenzfälle schaffen wollen. Und für Familie D. fand sich weiter keine Lösung.

Allein im Stadtgebiet gibt es laut Capric 90 Anträge von Asylbewerbern auf Familiennachzug. Aus dem Landratsamt heißt es dazu, dass für den Landkreis aktuell keine konkreten Zahlen vorlägen. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) gehe von 500 000 Personen im Jahr 2016 aus, die in ganz Deutschland im Rahmen des Familiennachzugs einreisen werden. Im Landkreis ist Dörpinghaus bisher nur ein weiterer Fall bekannt: Die Mutter eines unbegleiteten Asylbewerbers durfte einreisen, das Kind wohnte bei einer Pflegefamilie. Die kümmerte sich dann auch um die Unterbringung der Mutter.

Er wünscht sich vor allem, dass seine Tochter gut Deutsch lernt

Eigentlich wollte Rakan D. in Freising bleiben, denn sein Bruder lebt ebenfalls in der Steinkaserne. Der gelernte Friseur möchte gerne wieder in seinem alten Beruf arbeiten, ein weiterer Wunsch ist, dass seine Tochter gut Deutsch lernt. Am Wochenende ist die Familie endgültig nach Stuttgart übergesiedelt - sie hat dort eine Wohnung gefunden. Im Helferkreis hofft man nun, dass sich ein solches Gezerre nicht wiederholt und sich nicht nur die Ehrenamtlichen in solchen Fällen zuständig fühlen. Anderswo seien diese Familien von den Kommunen untergebracht worden, sie hätten beispielsweise ihre Notunterkünfte geöffnet, sagt Capric. Wie hier in Freising mit den Familien und auch den Ehrenamtlichen umgegangen wird, findet sie "beschämend und menschenunwürdig", wie sie in einem Brief an den Oberbürgermeister schreibt. Und weiter: "Freising besteht seit jeher darauf, eine weltoffene Stadt zu sein. Davon kann man im Moment rein gar nichts erkennen."

© SZ vom 26.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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