Mitten in Freising:Von Murphy und Ben Hur

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Was einem morgens an der Supermarktkasse so alles widerfahren kann

Von Gerhard Wilhelm

Morgens kurz vor 8.30 Uhr. Eigentlich pressiert es mal wieder, denn um 9.30 Uhr beginnt die Konferenz. Andererseits will man noch schnell Brot, Tomaten und ein paar andere Kleinigkeiten einkaufen. Kann ja nicht so lange dauern, denkt man, zumal offensichtlich noch nicht so viele auf den gleichen Gedanken gekommen sind. Auf dem Parkplatz steht nur knapp ein Dutzend anderer Autos.

Einkaufswagen geschnappt - und im Eiltempo geht es durch die verschiedenen Abteilungen. Das angepeilte Ziel, maximal 15 Minuten für den kompletten Einkauf zu brauchen, scheint leicht zu erreichen. Bis man in die Zielgerade einbiegt. Moment mal. Warum stehen da so viele Menschen, fragt man sich. Beim Näherkommen sieht man das Warum: Es ist nur eine von zehn Kassen offen.

Im Geiste sieht man sein Leben vorbei ziehen. Nicht das seit der Geburt, natürlich nicht, sondern das der nächsten geschätzt 20 Minuten, denn das wird aus Warten bestehen. Das Ziel - 9.30 Uhr - ist so weit in die Ferne gerückt, wie sechs Richtige samt Superzahl im Lotto.

Immerhin ist die Frage "Wo geht es jetzt am schnellsten?" bei nur einer Kasse schnell beantwortet und man muss nicht fürchten, dass Murphy - das ist der mit dem Satz, dass garantiert alles schief geht, was schief gehen kann - um die Ecke biegt. Denn ab zwei Warteschlangen, das kennt jeder, steht man in 99 von 100 Fällen in genau der Schlange, bei der an der Kasse die Papierrolle ausgeht ("Moment, haben wir gleich."), irgendeiner was zu reklamieren hat ("Aber am Preisschild steht 1,49!"), der Kunde die Tomaten nicht selbständig abgewogen hat, eine Kundin 15,86 Euro ausschließlich mit Münzen von einem bis 50 Cent bezahlt (wobei immer ein paar Münzen runter fallen), die Bezahlung mit der EC-Karte scheitert ("Der Apparat spinnt ab und an, hatten wir gestern schon.") oder das Einpacken so lange dauert wie das Auflegen auf das Band (ein Joghurt, noch ein Joghurt, Pfeffer - Moment, der ist ja gemahlen, ich wollte Körner).

Andererseits kann das alles auch bei nur einer Schlange geschehen - und dass das alles nicht nur einem selber immer passiert, erfährt man schnell im Plausch mit den Mitleidenden, deren Zahl stetig anwächst. Auch der Unmut wird immer lauter. "Spinnen die?", "Macht's endlich eine zweite Kassen auf". Ehe es zu tumultartigen Zuständen kommen kann, biegt eine Angestellte ums Eck. "Sie können auch zu mir kommen." Was sich nach dieser Aufforderung abspielt, hat viele Ähnlichkeiten mit dem Wagenrennen bei Ben Hur.

Da man ohnehin jetzt nur noch einen Kunden vor sich hat, wird auf ein Beteiligung an der Rennerei verzichtet. Man weiß ja, wie das bei Ben Hur ausgegangen ist. Ein paar Minuten später ist es so weit. Könnte noch klappen mit der Pünktlichkeit. Beim Weggehen hört man die Kassiererin: "Sie dahinten, können Sie den Leuten sagen, dass sie sich bei mir nicht mehr anstellen sollen. Ich muss mal."

© SZ vom 18.08.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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