Mitten im Landkreis:Lebenshilfe in der Bahn

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In öffentlichen Verkehrsmitteln erhält man Sprachunterricht und hört Geschichtsvorlesungen

Von Christiane Bracht

Das Leben ist manchmal nicht leicht. Frühmorgens klingelt der Wecker brutal und unerbittlich. Die Träume, in denen man gerade schwebte, zerreißen. Aus. Vorbei. Die Landung in der Realität ist hart. Wie schön wäre es, jetzt einfach liegen zu bleiben, die Augen wieder zu schließen und ... Aber die Arbeit ruft, der Blick auf die Uhr verrät nichts Gutes. Schnell: Duschen, anziehen, frühstücken und los.

Doch weit kommt man nicht. Stau. Auto an Auto steht die Straße entlang. In der Stadt, auf der Bundesstraße ebenso wie auf der Autobahn. Egal, welche Route man nimmt, man steht. Die Stadt ist dicht. Morgens und nachmittags wieder. Die Minuten rinnen dahin. Man wird langsam nervös. Zu spät kommen will ja niemand, aber was hilft's. Es geht einfach nicht vorwärts. Egal, ob man schimpft, den Motor aufheulen lässt, hupt oder einfach in der Nase bohrt.

Der Stresspegel steigt. Manchmal kann man den Wagen mal ein paar Meter rollen lassen, aber dann ist wieder Stillstand. Ach, was für sinnlos vergeudete Zeit! Und das jeden Tag. Was könnte man alles tun? Chinesisch lernen zum Beispiel. Oder den Rosen im Vorgarten gut zureden, damit sie sich wunderschön entfalten. Oder einfach entspannt im Lehnstuhl sitzen mit einer heißen Tasse Kaffee und einer Zeitung.

Bahnfahrer haben es, wie die Erfahrung zeigt, besser. Sie steigen einfach in S-Bahn oder Regionalzug ein, schlagen die Zeitung auf und lesen. Sie müssen sich nicht wegen gscherter Autofahrer vor ihnen ärgern, wegen roter Ampeln oder Leuten, die einfach das Gaspedal nicht finden. Gut, manchmal beschweren sie sich über ausgefallene Züge, schlechte Informationen oder lange Wartezeiten, wenn die Bahn ihnen vor der Nase davongefahren ist. Aber auch wenn's mal länger dauert, hat das Pendeln mit der Bahn gewisse Vorzüge.

So ganz nebenbei erfährt man nämlich, was die Enkelkinder vom Sitznachbarn ausgefressen haben, was die Oma für Wehwehchen hat und was ihr helfen könnte. Aber man kann auch kostenlos Sprachen lernen: Chinesisch, Japanisch, Spanisch, Englisch sowieso. Gerade die Strecke Richtung Flughafen ist unglaublich lehrreich. Man muss einfach nur zuhören. Ganze Vorlesungen über Zeitgeschichte gibt es zu hören. Reisen bildet eben. Wenn das nicht gut genutzte Zeit ist? Sogar kostenlose Lebenshilfe kann man gelegentlich bekommen. Beispielsweise in so wichtigen Fragen, welche Liebhaber die besten sind. Oder wie man mit Männern umgeht. In der Bahn ist Warten schöner.

© SZ vom 30.06.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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