Mitten im Landkreis:Die Kunst des Schwindelns

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Warum die Dinge manchmal nicht so sind, wie sie sich anhören

Von Berthold Neff

Wenn man seinen Mitmenschen etwas schonend beibringen will, greift man zum Euphemismus. In manchen Ländern ist die Sprache insgesamt ein Euphemismus vom Feinsten, zum Beispiel in Dänemark. Dem Dänischen haftet ja bis heute etwas leicht Niedliches an, was wohl mit ein Grund dafür war, dass die frühen Europäer sich von den Nordmännern täuschen ließen und nicht spitzkriegten, dass ein Wikinger nicht nett daherlispeln will, sondern vor allem auf Krawall, Raub und Totschlag gebürstet ist.

Neulich lief im Fernsehen das Handballspiel zwischen den Frauen-Nationalteams von Deutschland und Dänemark. Als der Schiedsrichter eine Spielerin verwarnte, blendete das dänische Fernsehen ein: "gult kort". Bei uns heißt so etwas Gelbe Karte und ist die Vorstufe zum Ausschluss; doch bei den Dänen klingt es so, als habe man eine Kreditkarte mit unbegrenzter Deckung gewonnen.

Solch kleine Täuschungsmanöver haben wir in der Region auch drauf. Wenn wir seit gefühlt einer halben Stunde auf die nächste S-Bahn oder U-Bahn warten, tönt es aus den Lautsprechern, dass es wegen einer bereits behobenen Störung zu "Abweichungen im Fahrplanablauf" kommt. Wer sich diesen Euphemismus bei der Münchner Verkehrsgesellschaft (MVG) ausgedacht hat, ist ein Meister der schonenden Kommunikation. Wie deprimierend wäre es, von "Verspätungen" zu reden. Das Wort "Abweichungen" aber impliziert die leise Hoffnung, dass die U-Bahn nicht unbedingt später, sondern vielleicht sogar früher kommt. Klar, denn wenn der "Schadzug", auch ein Begriff aus dem MVG-Sprech, endlich aus dem Gleis befördert ist, flutscht es dermaßen, dass sich die wartende U-Bahn plötzlich selber überholt und noch früher da ist als man es dem "Fahrplanablauf" folgend erwarten konnte.

Wenn man deswegen einen wichtigen Termin verpasst, heißt es nicht gut abgelaufen, sondern blöd gelaufen.

© SZ vom 16.06.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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