Attaching und Schwaigermoos:Wenn Dörfer veröden

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Wo ist man hier? Der kleine Oberdinger Ortsteil Schwaigermoos, der unter der Betondecke der dritten Startbahn verschwinden soll, ist namenlos geworden. (Foto: Marco Einfeldt)

Die Naturfreunde zeigen, wie der mögliche Bau der dritten Startbahn Menschen aus ihrer Heimat vertreibt. Ihre Warnung: Auch die Stadt Freising wird betroffen sein.

Von Katharina Aurich, Attaching/Schwaigermoos

Noch ist die dritte Startbahn am Flughafen im Moos keine Realität. Auch die Abflugrouten sind nicht bekannt. Ein Grund mehr, sich mit möglichen Szenarien zu beschäftigen, so wie es die Freisinger Naturfreunde mit einer kleinen Gruppe interessierter Bürger aus Freising und München an diesem Samstag bei einer Besichtigungstour des künftigen Standorts macht.

Der Attachinger und Startbahngegner Ludwig Grüll ist überzeugt: Die Flugzeuge, die auf der dritten Bahn starten, würden direkt über Freising fliegen. Denn sie müssten mindestens im 15-Grad-Winkel abdrehen, um den Fliegern der zwei anderen Bahnen nicht in die Quere zu kommen, meint er.

Die Gruppe trifft sich auf einer saftig grünen Wiese mit Blick auf den Domberg. "Wir möchten die Nähe zu Freising darstellen, denn wir sind der Ansicht, dass der Schaden, den die Bahn anrichten würde, den Nutzen weit übersteigt", argumentiert Josef Rohrer von den Naturfreunden. Es seien nicht nur ein paar Attachinger betroffen, das Flughafenumland sei ein dicht besiedeltes Gebiet.

Ludwig Grüll (3.v.l.) erläutert Teilnehmern einer Besichtigungstour der Naturfreunde den Lageplan der dritten Startbahn. (Foto: Marco Einfeldt)

Die vier Kilometer lange neue Bahn solle im Abstand von 1,4 Kilometern von der Nordbahn entstehen. Deren theoretische Verlängerung führe direkt zum Domberg, sagt Grüll mit einer weiten Armbewegung Richtung Freising. Die Abflugrouten seien zwar noch nicht bekannt, aber es gebe gar keine Alternative, als über Freising, Neustift oder Marzling zu fliegen. Das Ende der dritten Startbahn würde näher an Freising als an Attaching liegen, verdeutlicht er die Entfernungen.

Die Menschen in dem noch etwa 1000 Einwohner zählenden Freisinger Ortsteil haben sich an den Fluglärm gewöhnt, so gut das eben geht. Der Bau der dritten wäre jedoch das "Aus" der Ortschaft, weil dieser unerträglich würde, so Grüll. Schon jetzt sind die Veränderungen sichtbar.

Denn der Schein trügt: Zwar sind die Gärten und Wohnhäuser akkurat gepflegt, als ob ihre Besitzer trotz der Bedrohung durch die dritte Startbahn sich jetzt erst recht um ihr Eigentum sorgten. Doch sind immer wieder leer stehende Häuser und Hofstellen zu sehen. Die Flughafen München GmbH (FMG) hat sie gekauft. Fast ganz Attaching liegt im sogenannten "Übernahmegebiet", diese Grundstücke erwirbt die FMG zum Verkehrswert aus dem Jahr 2007. An jemand anderes darf nicht verkauft werden.

Grüll zeigt auf ein idyllisches Grundstück, durch das die Grenze des Übernahmegebiets verläuft. Eine Scheune steht dort, das Wohnhaus nicht mehr. Es sei wertlos, erläutert Grüll, denn für das Grundstück fände sich kein Käufer mehr.

Noch übler seien die Eigentümer dran, deren Grund nicht mehr im Übernahmegebiet, aber zwischen der Nordbahn und der dritten Bahn lägen. Hier hat die FMG keine Verpflichtung, das Land zu kaufen, das Leben unter den 60 Metern über den Häusern fliegenden Flugzeugen würde zur Hölle. "Das hält keiner aus", vermutet Grüll.

Wie es den Einwohnern tatsächlich geht, kann der Außenstehende nur erahnen. Seit 2013 darf in Attaching nichts mehr gebaut werden, kurz zuvor haben die Bürger eine kleine Kapelle an einer Straßenkreuzung errichtet - zur Bewahrung der Schöpfung. "Wir geben nicht auf", sagt Grüll.

Seine Familie lebt seit Generationen in Attaching, neben seinem Grundstück wohnen Schwester, Cousinen und andere Verwandte. Aber "mein Nachbar hat den Druck nicht mehr ausgehalten und an die FMG verkauft," berichtet er und zeigt auf ein Einfamilienhaus mit großem Garten. Die alten Menschen wollen keine Veränderung mehr, aber die Jüngeren gingen weg und bauten sich etwas Neues auf. Die leer stehenden Gebäude könnte man eigentlich an Flüchtlinge vergeben, findet Grüll.

Einige Häuser hat die FMG an Mitarbeiter vermietet. Zum Beispiel einen Hof an einer Straßenkreuzung, das frisch renovierte Wohnhaus ist von einer Apfelbaumwiese umgeben, überall blühen Blumen. Die Familie, die hier seit Generationen zu Hause war, habe verkauft. Die neuen Mieter lebten zwar hier, aber "wir kennen sie nicht", sagt Grüll. Niemand von ihnen engagiere sich etwa in einem Verein, denn das Leben in Attaching sei für sie ja ohne Perspektive.

Noch herrscht am Samstagvormittag reges Treiben in Attaching. Wie es hier einmal aussehen könnte, ist in den Weilern Schwaigermoos und Eittingermoos zu besichtigen. "Die Attachinger haben hier ja direkt vor Augen, was passieren wird", sagte eine Münchnerin betroffen. Noch sieben der ursprünglich 300 Bewohner leben in Schwaigermoos. Auf den fruchtbaren Torfböden wächst das Gras, die Äcker sind gepflügt, aber um die Bauernhöfe sind Bauzäune gezogen.

Schon seit Jahren stehen keine Kühe und Schlepper mehr in der Scheune. Die meisten Flächen gehören der FMG, sie hat sie an Landwirte verpachtet. Die sieben Bewohner wollen ihre Heimat nicht hergeben, sagt Grüll. Das Leben in dieser Ungewissheit sei zwar zermürbend, aber diejenigen, die umgezogen sind, seien nicht glücklich, heißt es.

© SZ vom 27.04.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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