Kirchbergers Woche:Liebenswertes Chaos

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Warum es für die Freisinger Innenstadt dann doch nicht all zu viele Regeln braucht

Von Johann Kirchberger

Wird die Freisinger Innenstadt wirklich schöner und attraktiver, wenn Fahrräder in Reih und Glied auf extra ausgewiesenen Flächen stehen, wenn Werbetafeln und Hinweisschilder normiert sind, wenn die Bestuhlung der Eisdielen und Straßencafés uniformiert wird? Nein, es muss nicht alles streng geregelt werden, es muss nicht alles einheitlich sein. Gerade die Vielfalt ist es doch, die den Reiz einer Innenstadt ausmacht. Diese Vielfalt wird eh immer geringer, weil frei werdende Läden fast nur noch von Filialisten gemietet und die Angebote sich von Kiel bis Berchtesgaden immer ähnlicher werden. In den Innenstädten und auf der grünen Wiese sowieso. Da bedarf es keiner städtisch verordneten Normierung, keiner Vereinheitlichung aller Beschilderungen und Werbemöglichkeiten. Wer alles regeln, alles in geordnete Bahnen lenken will, fördert die Langeweile und zerstört die Vielfalt.

Sein Radl individuell abstellen zu können, wo es etwas zu besorgen gilt, ist ein Stück Freiheit und macht es erst so richtig interessant, auf das Auto zu verzichten. Natürlich dürfen Fußgänger nicht behindert und barrierefreie Streifen nicht vollgestellt werden. Aber das ist ein Gebot gegenseitiger Rücksichtnahme, an die man nur appellieren kann. Sie lässt sich nicht anordnen. Auch nicht durch über das Stadtgebiet verteilte Fahrradständer. Es sei denn, die Stadt engagiert eine Radlpolizei, die alle nicht ordnungsgemäß abgestellten Räder regelmäßig abtransportieren lässt. Und wie viele Fahrradständer sollen denn aufgestellt werden? 100 oder gar 500? Samstags werden die vielleicht nicht einmal reichen, während der Woche stehen sie leer und verschandeln das Straßenbild. Bei aller Ordnungsliebe, ein bisschen Chaos kann auch liebenswert sein. Und liebenswert soll das Herz Altbayerns doch sein und bleiben.

Die Woge der Sportbegeisterung, ausgelöst von den Olympischen Spielen und der Fußball-WM, schwappte Anfang der 70er-Jahre auch nach Freising. In der Luitpoldanlage wurde eine Sporthalle mit fast 1000 Sitzplätzen gebaut, in der Savoyer Au entstand ein Leichtathletikstadion für 5000 Besucher. In Erwartung großer Sportereignisse, die auch überregional Beachtung finden und Funk und Fernsehen nach Freising bringen, wollten die Planer seinerzeit kein wichtiges Detail übersehen. In der Savoyer Au wurde eine Kanzel errichtet, wobei heute niemand mehr so genau weiß, ob die für Zielrichter oder Reporter gedacht war. Die Sporthalle bekam hinter den Zuschauerrängen eine Sprecherkabine für Fernseh- und Rundfunkreporter - und im Foyer wurden 1000 Garderobenhaken angebracht. Doch alle diese Einrichtungen wurden so gut wie nie genutzt.

Zielrichter mit Stoppuhren gibt es nicht mehr, und wenn tatsächlich einmal Funk und Fernsehen in Freising zu Gast waren, was selten genug vorkam, wollten sich die Reporter nicht in den für sie reservierten Glaskäfig setzen, sondern zogen den Spielfeldrand vor. Nun ist der 40 Jahre alte Reporterturm in der Savoyer Au baufällig geworden und wird, so hat es diese Woche der Finanzausschuss beschlossen, ersatzlos abgerissen. Ein Schicksal, das der Sprecherkabine in der Sporthalle vorerst erspart bleibt. Aber bei der Großsanierung in einigen Jahren wird wohl auch sie beseitigt werden. Und die Garderoben sind längst zum Materiallager umgebaut worden. Der Traum vom großen Sport in Freising, er ist schon lange ausgeträumt.

© SZ vom 18.04.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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