Kirchbergers Woche:Das Recht des Stärkeren

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Im Straßenverkehr ist oft alles eine Frage der Perspektive

Kolumne Von Johann Kirchberger

Erstaunlich, wie sich der Mensch in seinem Verkehrsverhalten verändern kann. Ist er als Fußgänger unterwegs, schimpft er auf Radl-Rambos und rücksichtslose Autofahrer, kurvt er mit dem Fahrrad durch die Gegend, nerven ihn unachtsame Fußgänger und er ärgert sich über Autofahrer, die ihm vermeintlich nach dem Leben trachten. Und als Autofahrer, da regt ihn sowieso alles auf, was sich außer ihm noch auf den Straßen bewegt und ihn aufzuhalten versucht. Freie Fahrt für freie Bürger.

Ganz ähnlich ist das mit der Wahrnehmung von Geschwindigkeit. Anlieger klagen über die Raser in ihrer Straße, setzen Geschwindigkeitsbegrenzungen durch und fordern, wenn die ihrer Meinung nach nicht beachtet werden, strenge Kontrollen. Die uniformierten Fotografen schmunzeln indes darüber, stellen sie doch immer wieder fest, dass es meist gerade die Anlieger sind, die in die aufgestellten Radarfallen tappen. Wer erwischt wird, für den ist das natürlich gar nicht lustig. Der schimpft und zetert über die üblen Abzocker und Raubritter am Straßenrand.

In der Erdinger Straße in Lerchenfeld gelten seit einigen Wochen 30 Stundenkilometer als Höchstgeschwindigkeit. Im Bereich der lang gezogenen Container-Realschule stundenweise, von 20 bis 6 Uhr früh durchgängig, aus Lärmschutzgründen. 30 km/h, das ist nicht viel für eine der drei wichtigsten Zufahrtsstraßen in Freisings größtem Wohnquartier. Die Stadt ist damit aber einem durchaus verständlichen Wunsch der Anlieger nachgekommen und will jetzt ein Jahr lang testen, ob die Menschen hier wieder besser schlafen können. So weit, so gut. In der Praxis allerdings ist es Autofahrern nur schwer beizubringen, dass sie nachts um 3 Uhr auf einer völlig freien Straße mit 30 dahinzuckeln sollen. Und weil es vielen Autofahrern ziemlich unwahrscheinlich erscheint, dass um diese Zeit noch Blitzer unterwegs sind, wird Gas gegeben. Gleichwohl versprechen sich Anlieger irgendwie wahre Wunderdinge von solchen Geschwindigkeitsbeschränkungen.

So wird nun auch aus der Ismaninger Straße, einer weiteren Hauptverkehrsader in Lerchenfeld, der Wunsch nach einer 30er-Zone laut. Weil hier größtenteils etwas fehlt, was die Geschwindigkeit besonders wirksam drosselt: parkende Autos am Straßenrand. In engen Straßen nämlich, so zeigt die Erfahrung, mit mal links, mal rechts abgestellten Fahrzeugen, da wird Tempo 30 anstandslos eingehalten, ganz ohne Blitzer.

Für Radler sind solche Verkehrswege allerdings nicht ganz ungefährlich. Wenn sich, wie etwa in der Erdinger Straße üblich, Busse und Autos begegnen und vorsichtig an parkenden Fahrzeugen vorbei tasten, dann ist da kein Platz mehr für Radfahrer. Manche erstrampeln sich trotzdem ihr Recht, manche fahren unerlaubterweise auf dem Gehweg, manchmal ist aber auch zu beobachten, wie sich Radler in eine Parklücke retten und absteigen. Das Recht des Stärkeren, es gilt eben auch in Freising.

© SZ vom 18.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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