Jugendarbeit im Landkreis:Partei für die Kinder ergreifen

Lesezeit: 2 min

In vielen Jugendämtern sind die Mitarbeiter hoffnungslos überlastet, in Freising stimmen die Rahmenbedingungen, wie Leiterin Arabella Gittler-Reichel bilanziert. 2017 musste die Behörde in 36 Fällen zum letzten Mittel greifen

Von Alexandra Vettori, Freising

Ein tot geschütteltes Baby, eine verwahrloste Zweijährige, die verhungert ist, ein Dreijähriger, der vom Stiefvater so geprügelt wird, dass er seinen Verletzungen erliegt. Immer wieder schrecken solche Meldungen auf, meist schließen sich dann Vorwürfe an die Jugendämter an, weil sie die Kinder nicht geschützt haben. Eine Untersuchung der Uni Koblenz hat jetzt gezeigt, dass bei vielen Jugendämtern strukturelle Ursachen bestehen, wenn misshandelten Kindern nicht geholfen wird. Denn vielerorts fehlt es an Geld und Personal. Der Grund: Jugendhilfe ist Sache der Kommunen, und dort herrscht bekanntlich ein großes finanzielles Ungleichgewicht. Mit der Situation im Freisinger Jugendamt aber ist Leiterin Arabella Gittler-Reichel zufrieden.

"Ich bin wirklich dankbar für die Rahmenbedingungen und dafür, dass wir hier so gut aufgestellt sind." Für den Kinderschutz gibt es 13 Mitarbeiter, in der Vollzeitpflege und dem Adoptionsdienst drei, im Team der Eingliederungshilfe ebenfalls drei Mitarbeiter und im Fachdienst für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge zwei. Ein Kriterium der Studie waren die Fallzahlen, also die Fälle, für die ein Mitarbeiter im Jahr zuständig ist. 35 gilt als positiver Richtwert, tatsächlich sind es mancherorts bis zu 100 Fälle. Auf den ersten Blick steht da auch das Freisinger Jugendamt mit rund 80 Fällen pro Mitarbeiter und Jahr nicht so gut da. Allerdings, so Gittler-Reichel, müsse man mit solchen Zahlen vorsichtig sein: "Es hört sich nach viel an, aber da sind auch die Fälle dabei, wo nur ein oder zwei Mal etwas nachgeschaut wird, das trifft aber auf 40 bis 50 Prozent aller Fälle zu." In den anderen 50 bis 60 Prozent geht es um Hilfen zur Erziehung, ambulant, teilstationär oder stationär.

Insgesamt hat das Freisinger Jugendamt im vergangenen Jahr 36 Inobhutnahmen verfügt, also Kinder aus ihren Familien genommen, weil ihr Wohl und ihre Gesundheit gefährdet waren. Das entspreche dem Durchschnitt im Landkreis, sagt die Leiterin, ein Ausreißer nach unten sei das Jahr 2016 gewesen, als es neun Inobhutnahmen gab. Diese Entscheidung für das letzte Mittel einer langen Palette an Hilfsmöglichkeiten mache sich die Behörde nicht leicht. "Das geschieht nur, wenn das Kindeswohl akut gefährdet ist, wenn die Verhältnisse ganz furchbar sind oder die Kinder selbst darum bitten", betont Arabella Gittler-Reichel. Auch gelte stets das Vier-Augen-Prinzip, wenn die Mitarbeiter überlegen, was zu tun ist. Manchmal kläre sich die Situation dann rasch wieder, oft aber bleiben die Kinder länger in den Bereitschaftsfamilien oder den anderen Stellen, meist betreute Wohngemeinschaften.

Obwohl das Freisinger Jugendamt im Vergleich zu den Ergebnissen der Koblenzer Studie unter sehr guten materiellen Bedingungen arbeitet, beispielsweise gibt es auch ausreichend Dienstfahrzeuge und Diensthandys, die anderswo oft fehlen, betont auch Leiterin Gittler-Reichel, wie schwierig und belastend die Arbeit oft sei. "Es gibt viele Konflikte im Einzelfall, umso wichtiger ist es, dass die Rahmenbedingungen stimmen", sagt sie.

Sehr zufrieden ist sie auch mit der Zusammenarbeit mit Schulen und Kindergärten. "Da kommen immer öfter Meldungen, und das Jugendamt muss auch jeder nachgehen." Die Schulsozialarbeiter seien hier ein sehr wichtiger Baustein, auch in diesem Bereich leiste der Landkreis hervorragende Arbeit, wenn er immer mehr Schulen damit ausstatte.

Dass ein Kind zu Tode kam, daran kann sich Arabella Gittler-Reichel während ihrer Amtszeit nicht erinnern, "aber es gibt immer wieder tragische Einzelfälle, die man in die Kinderschutz-Ambulanz bringt und wo man froh ist, dass sie mit dem Leben davon gekommen sind." Ihr Appell ist deshalb, nicht nur, wie es bereits der Fall ist, das Elternrecht im Grundgesetz zu verankern, sondern endlich auch das Kinderrecht.

© SZ vom 23.05.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: