Uralt-Graffiti:Ruf nach Freiheit

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Gerhard Schebler (rechts) und sein Seminar "takeoff" gewannen den Geschichtswettbewerb der Koerber-Stiftung. (Foto: Lukas Barth)

Das Seminar "takeoff" des Camerloher-Gymnasiums gewinnt mit einem Beitrag über die Kritzeleien in Schulkarzern den angesehenen Geschichtswettbewerb der Koerber-Stiftung

Von Paulina Schmidt, Freising

"Die Namen der Dummen stehen überall geschrieben. Ausschluss in Unterricht und Schule." Das Seminar "takeoff" des Camerloher-Gymnasiums gewann mit diesem Beitrag den Geschichtswettbewerb der Koerber-Stiftung. Die Schüler beschäftigten sich mit den Graffiti aus dem 18. Jahrhundert im Freisinger Karzer. Schmierereien als Botschaften, die Menschen hinterließen, als sie für eine bestimmte Zeit von der Gesellschaft ausgeschlossen waren.

Der Karzer war im 17. und 18. Jahrhundert eine weit verbreitete Arrestzelle in Schulen und Universitäten Deutschlands. Sie wurde als Disziplinarstrafe genutzt. Auch der Freisinger Karzer war in die Schulordnung integriert. Im Freisinger Lyzeum, in dem sich der Karzer befand, wurden unter der Leitung der Benediktiner Kinder und Jugendliche, die Priester werden wollten, aber auch weltliche Schüler und Studenten ausgebildet. Das Lyzeum, welches am Fuß des Dombergs stand, wurde 1803 aufgelöst. Heute wird das Gebäude "Asamgebäude" genannt.

Eine Lehrerin des Camerloher-Gymnasiums hatte sich die vergangen Jahre immer wieder für den Geschichtswettbewerb interessiert und brachte Gerhard Schebler und seinem Seminar "takeoff" eine Broschüre mit. Das diesjährige Rahmenthema "Anders sein - Außenseiter in der Geschichte" interessierte die neun Schüler des Seminars sofort, bis sie sich dann aber für ein Projekt entschieden hatten, dauerte es einige Zeit. Sie recherchierten viel und zogen externe Partner mit Themenvorschlägen zu Rat. Schebler entdeckte mehr durch Zufall den ehemaligen Karzer im Dachgeschoss des Freisinger Asamgebäudes. "Unter einem Karzer konnten wir uns erst Mal nichts vorstellen", gibt Julia Betz, eine der Seminarteilnehmerinnen, zu.

Ausgehend von den Kritzeleien im Freisinger Karzer wollten die Mitglieder des Seminars untersuchen, wie Schüler erste Erfahrungen als Außenseiter machen und wie sie darauf reagieren. Welche Auswirkungen hat es, eine Zeit lang ausgeschlossen und allein zu sein? Wie geht man mit dem eigenen Anderssein um? Die Schüler fanden heraus, dass ausschließende Strafen in Bildungseinrichtungen schon sehr früh bei Völkern zu finden sind, beispielsweise im alten Ägypten. Die Schüler beschäftigten sich jedoch nicht nur mit vergangenen Zeiten, sondern stellten sich auch die Frage, was heutige Kritzeleien in der Schule und Kritzeleien in Karzern verbindet. Ein wichtiger Aspekt dabei sei vor allem die Langeweile. In Karzern handeln die Kritzeleien zudem oft vom Thema Freiheit, da sich die Insassen wünschen. Zusätzlich beschäftigte sich "takeoff" mit der Ausgrenzung von Schülern in der Literatur und machte sich Gedanken zum Ausschluss in Schule und Unterricht.

Die Schüler trafen sich jeden Freitag fast zwei Stunden, oft in den Ferien, teilweise am Wochenende. Sie lasen Bücher, führten Interviews und arbeiteten an ihrem Kurzfilm. Wie viel Zeit sie insgesamt investiert haben? "Bei mir waren es insgesamt . . . ich kann es nicht sagen", stellt Emilia Ruiz fest.

Zuerst planten die Schüler als Endprodukt einen Film, doch sie stellten fest, dass dieser nicht für alle Informationen reichen würde. "Uns erschien dann die Multimedia-Lösung am Besten", erzählt der Schüler Maximilian Fuchs. Also erstellten sie eine Homepage und drehten einen Kurzfilm. Für den Filmdreh ließ sich eine Schülerin sogar kurz in einem Karzer einsperren.

Der Geschichtswettbewerb des Bundespräsidenten ist der größte historische Forschungswettbewerb für junge Menschen in Deutschland. Er will bei Kindern und Jugendlichen das Interesse an der eigenen Geschichte wecken, Selbstständigkeit fördern und das Verantwortungsbewusstsein stärken. Unter den 1565 eingereichten Beiträgen gehört "takeoff" zu den 13 bayerischen Preisträgern. Am vergangenen Mittwoch waren die neun Schüler des Seminars gemeinsam mit ihrem Lehrer Gerhard Schebler bei der Preisverleihung in Nürnberg. Durch ihren Erfolg haben die Schüler nun auch die Möglichkeit an anderen Seminaren teilzunehmen. "Ich war schon beim Sächsischen Geschichtstreff in Plauen", erzählt Vida Pluym.

Das Endergebnis der Forschung lässt sich kaum kurz darstellen. "Auf jeden Fall ist es gut, dass man Schüler nicht mehr zur Strafe in ein Gefängnis einsperrt", fasst Julia Betz die Ergebnisse zusammen. "Und es gibt immer noch Leute, die aus verschiedenen Gründen Dinge bekritzeln", ergänzt Julia Stockwald.

Das gesamte Projekt findet man auf der Webseite karzer.camerloher-gymnasium.de.

© SZ vom 10.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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