Geheimen Mächten auf der Spur:Gegen den Rest der Welt

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Anton Gebhard (l.) mit einem seiner Referenten: Hier Erich Hambach, der beim Freidenkerstammtisch zur Bargeldabschaffung referierte. (Foto: Wagenseil/oh)

Anton Gebhard organisiert seit fast vier Jahren in Nandlstadt den "Freidenker-Stammtisch", weil er Politikern und Medien misstraut. Er will unbequeme Themen diskutieren und auf Verschwörungen aufmerksam machen

Von Clara Lipkowski, Nandlstadt

Irgendwann war im Leben von Anton Gebhard der Punkt gekommen, an dem er merkte, wie er Politikern, Unternehmern und Medien misstraute. Das, was er tagtäglich in Zeitungen las, machte ihn immer öfter stutzig. Er fing an, intensiv über Machtkonstellationen, Geldflüsse und Interessensverstrickungen zu recherchieren. Er witterte geheime Mächte, die hinter den Menschen schaden wollen. Im Internet, abseits der wie er sagt "Mainstream-Medien", fand er für ihn schlüssige Erklärungen. Und merkte: Er ist nicht allein mit seinen Zweifeln.

Gleichgesinnte traf er 2012 bei einem Stammtisch in München und entschied sich, eine ähnliche Veranstaltung in seinem Heimatort Nandlstadt zu organisieren. Man traf sich zu lockeren Gesprächsabenden und bald ließ Gebhard seinen "Freidenker-Stammtisch" in Lokalzeitungen offiziell ankündigen. Vor fast vier Jahren war das. Mittlerweile kommen laut Gebhard im Schnitt 70 Leute. Er moderiert, ein Redner referiert. Die Themen wechseln. Und da fängt für den einen oder anderen das Problem an. Einmal sprach ein Redner über Reptiloiden. Also diejenigen, die glauben, dass die Menschen von Reptilien beherrscht werden. Ein anderes Thema war "Die Manipulation der Massenmedien". An diesem Freitag ist der frühere Moderator bei Sat.1 und N24, Hans-Hermann Gockel, eingeladen. Er schreibt für die rechtskonservative Zeitung Junge Freiheit und tritt bei AfD-Veranstaltungen auf. In Nandlstadt spricht er zum Thema "Wird Deutschland gegen die Wand gefahren? Mit Klartext gegen die Gedankenfeigheit".

Die linksorientierte, im Netz aktive Gruppe der Erdlinge kritisiert die Treffen der Gruppe via Facebook als "Antisemitismus-Stammtisch". "Das ist Unsinn", sagt Gebhard. Er wolle Menschen zum Diskurs zusammenbringen, Dinge hinterfragen. "Wir lehnen jede Form von Extremismus ab", sagt der 37-Jährige. An einem Abend im März zeigt Gebhard im Café La Villa den umstrittenen Film "Wikipedia. Die dunkle Seite der Macht". Darin heißt es, das Internetlexikon werde manipuliert, sei keine seriöse Quelle. Zudem wird der Freisinger Lokalpresse Stimmungsmache gegen einen umstrittenen Redner und einen Kirchenvertreter vorgeworfen. Nach dem Film diskutieren die 20 Zuschauer hitzig. Es fällt das Wort "Lügenpresse" und für die ein oder andere Verschwörung macht ein Zuschauer "die Rothschilds" verantwortlich. Gebhard winkt ab: Es helfe niemanden, solche Aussagen zu tätigen. Allerdings stellt er immer wieder Fragen in den Raum: "Ja, wie viele Türme wurden bei 9/11 denn jetzt gesprengt?" Am Abend muss er mehrfach mäßigend eingreifen.

Einmal hatte er den Medizintechniker Jan Erik Sigdell zu einem Vortrag über Reinkarnation eingeladen. Auf der Internetseite seines Stammtischs verweist Gebhard auf dessen Online-Auftritt. "Europa ist dem Untergang geweiht", prophezeit Sigdell in fetter, kursiver Schrift. Weiter unten: "Tausende Migranten bereiten Bürgerkrieg vor". Warum verlinkt Gebhard so etwas? "Ich verfolge nicht permanent jede Referentenseite" sagt er. Über den Link könne man Informationen einholen. Dennoch - freie Meinungsäußerung heiße auch, unbequeme Meinungen auszuhalten. Zudem sei die Seite ein Gegengewicht zu dem, was sonst berichtet werde. Die Massenmedien nämlich seien "mitunter einseitig und tendenziös". Sie würden Feindbilder aufbauen, wie im Fall Russland. Zum Gespräch mit der SZ Freising war er dennoch bereit - weil man an seiner Sicht der Dinge interessiert sei. Er schwört aber auf "alternative Medien", zum Beispiel die Pegida-nahe Zeitschrift Compact. Gebhard formuliert vorsichtig, er stellt Thesen in den Raum - denk mal drüber nach, ist sein Credo, ist vielleicht alles anders, als es scheint? Oft sagt er "Die" und "Wir". Früher hat er die Menschen, die Politiker, die er heute kritisiert, bewundert. Er war CSU-Mitglied und wollte selbst in die Politik, schon während des VWL-Studiums. Praktika bei der CDU/CSU-Bundestagsfraktion und später im Finanzministerium fand er "super spannend, weil man mittendrin ist, da, wo die Leute entscheiden." Er arbeitete dann aber vier Jahre bei einer Unternehmensberatung, bis es dort mit den Vorgesetzten "nicht mehr gepasst hat" und wandte Berlin den Rücken. 2012 kehrte er nach Nandlstadt zurück und übernahm 2014 das elterliche Schuhgeschäft.

Dass die große Karriere ausblieb, bedauere er nicht, sagt er. Viel wichtiger sei ihm, keinen Chef zu haben und unabhängiger zu sein - "vom System". Er sei früher sehr staatsgläubig gewesen, "die Politiker, die Medien, Autoritäten werden dich schon nicht anlügen, habe ich gedacht." Dann aber sei er "erwacht". Er sagt das mit einem Lachen, großen Augen und macht Anführungszeichen mit den Händen. Eine Erkenntnis: "Viele Krisen auf der Welt werden künstlich erzeugt." Und im Alltag? "Es steckt System dahinter, dass die Menschen den ganzen Tag arbeiten und am Wochenende gibt es Amazon Prime. Sie sind beschäftigt, mucken nicht auf." Er aber, nun selbständig, schnuppere jeden Tag die Luft der Freiheit. Und so hat er seinen Weg gefunden, er recherchiert immer weiter. Über Hillary Clintons angebliche Verstrickungen in einen Pädophilenring oder vermeintlich geheime, okkulte Symbole beim Deutschen Fußballbund. Und widmet sich dem Freidenker-Stammtisch. Er wolle nicht missionieren, sagt Gebhard. Denn er müsse niemandem etwas beweisen. Keinem Chef und niemandem sonst.

© SZ vom 09.06.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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