Freising:Stadt ohne Gesicht

Lesezeit: 4 min

Der ehemalige Leiter des Diözesanmuseums Peter B. Steiner wirft Planern in Freising "Kahlschlagsanierung" vor. Er fordert einen Stadtbaumeister, den Erhalt von Baudenkmälern und eine Gestaltungssatzung.

Von Kerstin Vogel, Freising

Das Thema scheint den Freisingern wichtig zu sein: Das Asamfoyer war fast schon zu klein, als sich dort in dieser Woche Peter B. Steiner, der ehemalige Direktor des Diözesanmuseums, während einer Veranstaltung des Historischen Vereins der Freisinger Baupolitik annahm. Er tat dies spitzzüngig bis böse - und schonte weder Politiker, noch Verwaltung, Grundeigner oder Investoren. Seine Botschaft: "Bis hierher und nicht weiter." Seine Forderungen: In Freising dürfe kein einziges weiteres Baudenkmal zerstört und kein einziges weiteres Haus auf eine Glasfassade gestellt werden. Die "Kahlschlagsanierung" sei zu stoppen - und die Stadt brauche neben einem Stadtbaumeister, einer Dokumentation der Fassaden und einem Preis für vorbildliche Erhaltung von Baudenkmälern eine Gestaltungssatzung.

"Niemand wünscht sich ein innerstädtisches Disneyland, aber einen achtsamen Umgang mit der Innenstadt-Architektur."

Wie besonders, einzigartig und einprägsam das Gesicht der Stadt einmal war, zeigt Steiner anhand von alten Bildern auf. Freising sei ein Sakralort für Wallfahrer gewesen, ein Lebensraum für Adelige und Arbeiter, schildert er, "ein stolzes Gegenüber der Alpen, denn dazwischen war nichts mehr Gscheids". 1960 aber habe mit dem wirtschaftlichen Aufschwung die Zerstörung von großen Teilen der Altstadt begonnen. Freising sei "gesichtslos" geworden. Die Schuld daran gibt der Kunsthistoriker dem Freistaat, der Verwaltung, den Grundeignern, aber auch der Kirche, die ihren Domberg nicht beschützt hat.

"Sünden des staatlichen Bauamts" hat er dort oben ausgemacht, eine "Vergewaltigung" des Domes gar bei dessen Renovierung in den 60er Jahren. Der Umbau der fürstbischöflichen Residenz zum Priesterseminar, dem heutigen Bildungszentrum? "Eine städtebauliche Katastrophe, ein Bau, bedrohlicher als die Eiger-Nordwand." Und auch für die Zukunft rechnet sich Steiner hier nichts Gutes aus. Für die anstehende Neugestaltung auf dem Domberg habe die Kirche einen Unternehmensberater engagiert: "Wie soll man von einer Kirche Heil erwarten, die ihr Heil bei Unternehmensberatern sucht?"

"Freising liegt jetzt an der Eishalle."

Als die Eisenbahn nach Freising kam, brachte sie wirtschaftlichen Aufschwung. Doch sie schnitt auch die Stadt von ihrem Fluss ab, trennte den Berg vom Ufer, was Steiner eine städtebauliche Todsünde nennt. Weil man neben die Bahnlinie dann auch noch die Straße gebaut habe, brauche es heute die Hochtrasse "und ihre flächenfressenden Verkehrsanbindungen". Die Folgen sollte eine gute Baupolitik eigentlich minimieren, sagt Steiner. Stattdessen habe man das Eisstadion gebaut. Wo die offene Eisfläche noch belebend gewirkt habe, stehe nun ein Riesenwürfel am Fluss, mit hohen Kosten gebaut, mit einem gewaltigen Energieverbrauch und eben ästhetischen Problemen.

"Schon König Ludwig II hat gewusst: Es gibt Leute, die keine Ruhe geben, bis alles so platt ist wie ihre Köpfe."

Zu viele Plattköpfe seien in Freising schon tätig geworden, sagt Steiner. Die Zerstörung des historischen Erbes ist für ihn ein gesellschaftliches Problem. Beispiele? Der Abbruch der Stadttore, weil diese "Verkehrshemmnisse" waren, überhaupt der Umbau der Stadt zugunsten des Autos, der 1945 begonnen habe. Die "Vorstadtwohncontainerstapel", die von den erbauenden Investoren dann als "Altstadtpalais" beworben würden. Das Praetnerhaus in der Innenstadt, die ehemalige Zinnerne Kanne, das Hut-Schieder-Eck, das Gebäude der Sperrerbank, das zu hoch und zu breit "selbstsüchtig Platz und Straße beherrscht" - die Liste kann der Kunsthistoriker beliebig fortsetzen. "Architektur zum Dranvorbeifahren", nennt er das. "Das ist nicht modern oder Fortschritt, sondern einfach schlecht."

Das Wort Fortschritt mag Steiner aus Diskussionen darüber ohnehin verbannen. Stattdessen solle man vielleicht von "Verbesserung" reden, regt er an: Da werde dann wenigstens gefragt: "Für wen?" Denn man sollte Interessen schon deutlich benennen, findet er, "damit man sie dann ausgleichen kann".

"Investoren wollen keine Denkmäler sehen, keine schöne alte Stadt, sondern Geld."

Investoren würden von der Politik oft bevorzugt behandelt, kritisiert Steiner. Der Investor, der die alten Villen an der Münchner Straße platt gemacht habe, werbe für seinen Neubau dort mit Ansichten aus der Altstadt, keinesfalls aber mit Bildern, auf denen seine eigenen Bauwerke zu sehen sind, stellt er fest. Steiner findet, dass, wer Grundstücke in der Stadt besitzt, damit auch eine Verantwortung übernommen hat. "Leider gehen aber zu wenige Geschichten zugunsten des Stadtbildes aus."

"Die Fassaden der alten Häuser sind eine Zierde für die Stadt und ein Zeichen ihrer Würde."

Bevor Freising zur "Überall-Stadt ohne Gesicht" wurde, lebte die Altstadt vom Gegensatz zwischen Bürgerhäusern und den Wohnsitzen der Adeligen, wie Steiner sagt. Mit dem Giebel zur Straße die Bürgerhäuser, mit der Traufe voran, als ob sie sich mit ausgefahrenem Ellenbogen dazwischen gequetscht hätten, die Höfe und Palais der Adeligen. Allesamt mit Satteldächern, die umso älter sind, je steiler sie aufragen. Gute Beispiele für Sanierungen hat der Kunsthistoriker etwa beim Härtingerhaus ausgemacht, oder am Haus der Firma Wölfle. Hier seien die würdevollen Fassaden mit ihren Giebeln über den Fenstern erhalten worden, ebenso beispielsweise beim Furtnerbräu.

Doch jedes Haus, das abgerissen und höher neu gebaut werde, zerstöre das Gesamtbild. Die Hinterhöfe der Stadt seien nicht gedacht gewesen für Einfahrten und Parkplätze und dort, wo an der Kammergasse früher einmal die Stadtmauer verlief, finde man heute einen Carport neben dem anderen. Hoffnung allerdings hegt Steiner für die Hauptstraße, diese "bequeme Ödnis für Automobile", dann nämlich wenn die Moosachöffnung kommt.

Und da ist sich Steiner mit den Verfechtern der neuen Innenstadtkonzeption dann auch einig, ohne das Wort auch nur einmal in den Mund zu nehmen: Freising steht in Konkurrenz zu anderen Städten. Wenn schon nicht (mehr) zu München oder Landshut, dann doch mindestens zu Erding oder Dachau. "Und wenn die Stadt Freising ihr Aussehen vernachlässigt, dann fällt sie im Vergleich zurück." Langfristig also sei der Erhalt des Stadtbildes im Interesse nicht nur der Bürger, sondern auch der Wirtschaft.

"Wenn einzelne Stadträte uns vorwerfen, wir seien die Geschmacks-Al-Qaida, dann werden alle, die für den Erhalt sind, in die Nähe von Terroristen gerückt."

© SZ vom 28.02.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: