Forschung unter schwierigen Bedingungen:"Wir erhielten Bombendrohungen"

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Für eine zweite Amtszeit als Dekanin möchte Professorin Angelika Schnieke nicht antreten und sich stattdessen wieder mehr auf die Lehre konzentrieren. (Foto: Marco Einfeldt)

Die Weihenstephaner Professorin Angelika Schnieke war an der umstrittenen Schaffung von Klonschaf "Dolly" beteiligt. Heute forscht sie an Schweinen. Familie und Karriere zu verbinden, war für sie nie ein Problem

Interview von Katharina Aurich, Freising

Neugier und Begeisterung waren die Voraussetzungen für eine Karriere, die Professorin Angelika Schnieke in verschiedene Länder, Labore, Forschungsinstitute und an Universitäten führte. Dazu kam das Glück, einen Mann zu treffen, der die Leidenschaft für die Forschung teilt. Dem Paar gelang es, berufliche Ambitionen mit Stationen in Europa, darunter lange Zeit in Schottland, und den USA gemeinsam zu verwirklichen und zwei Kinder groß zu ziehen. Voraussetzung war vermutlich auch der unkomplizierte Umgang unter Wissenschaftlern in Großbritannien und den USA, wo laut Schnieke zählt, was jemand kann und es weniger auf das richtige Diplom ankommt. Aber inzwischen habe sich auch in Deutschland einiges geändert. Forschung passiere in internationalen Netzwerken in engem Kontakt zu Kollegen aus der ganzen Welt, und diese Internationalität werde an der TU München, wo Schnieke inzwischen arbeitet, wertgeschätzt, wie die Professorin sagt. SZ: Wollten Sie schon als Jugendliche in die Biotechnologie gehen?

Angelika Schnieke: Nein, das war Zufall. Ich stamme aus Oberhausen, und direkt neben meinem Elternhaus begann die Zeche. Mich haben die großen Maschinen fasziniert, und mein Traum war, Maschinenbau zu studieren. Das sah der Berufsberater, an den ich mich nach dem Abitur gewendet habe, jedoch anders. Das sei nichts für eine Frau. Er riet mir, Bioingenieurwesen zu studieren.

Wie ging es dann weiter?

Nach meinem Abitur arbeitete ich zunächst sechs Monate in der Stahlindustrie, was für das Ingenieur-Studium erforderlich war. Dort war ich beinahe die einzige Frau, das war ein bisschen ein Schock, denn zuvor war ich auf einem Mädchengymnasium gewesen. Ich lernte mit den Auszubildenden, wie man Drehmaschinen betätigt, und arbeitete in der Gießerei und in der Elektrowerkstatt. Danach begann ich in Hamburg, Bioingenieurwesen zu studieren, ein neuer Studiengang, der sich mit den damals aufkommenden Umweltthemen wie der Reduzierung von Emissionen oder der Energieeinsparung befasste.

Da waren Sie als Frau vermutlich wieder fast alleine.

Nicht ganz, ich hatte drei Kommilitoninnen in meinem Semester. Nach dem Studium reiste ich ein paar Monate durch Südamerika, das war spannend. Nach meiner Rückkehr suchte ich einen Job und kam als Aushilfskraft an das Heinrich-Pette-Institut für Experimentelle Virologie und Immunologie an der Universität Hamburg. Das Labor leitete damals Professor Rudolf Jaenisch, einer der Pioniere der Molekularbiologie. Er hatte in München studiert, einige Jahre in Kalifornien geforscht und brachte einen lockeren und nicht Status-bewussten Arbeitsstil mit. Das Thema faszinierte mich und aus einem Aushilfsjob wurden fünf Jahre, in denen ich immer mehr Verantwortung übernahm.

Woran wurde damals, Anfang der Achtzigerjahre, geforscht?

Wir arbeiteten mit transgenen Mäusen und Retroviren, Jaenisch ist einer der Ersten, der genetische Modifikationen an Säugetieren vornahm. Es ging darum, am Tiermodell die Funktion von Genen und die Ursache von menschlichen Erkrankungen zu erforschen; und dann natürlich Strategien zur Heilung zu entwickeln. Das war der Beginn der Molekularbiologie, und viele Arbeitsschritte, die heute von Geräten erledigt werden, machten wir damals noch von Hand.

Sie gingen dann frisch verheiratet und schwanger in die USA, um ein Labor aufzubauen, wie kam es dazu?

Ich hatte meinen Mann in Hamburg kennengelernt, er ist Brite und ebenfalls Molekularbiologe. Jaenisch erhielt einen Ruf an das Massachusetts Institute of Technology (MIT) und bot mir an, dort sein Labor aufzubauen. Das Angebot nahm ich natürlich an. Mein Mann erhielt dort ebenfalls eine Stelle als Wissenschaftler.

Konnten Sie Beruf, Kinder und Familienleben vereinbaren ?

Das war kein Problem, ich arbeitete bis kurz vor der Geburt unseres Sohnes und stieg danach auch bald wieder ein. Die Arbeitsbedingungen waren familienfreundlich und ich konnte mein Baby anfangs mit in die Arbeit nehmen, danach hatten wir eine Tagesmutter. Mein Mann und ich erhielten dann ein Angebot in der Schweiz, wo unsere Tochter geboren wurde. Wir arbeiteten dort zehn Monate, dann musste das Forschungsinstitut aus Geldmangel schließen und wir gingen zurück in die USA nach Colorado, wo ich zum ersten Mal an genetisch veränderten Nutztieren forschte.

War es schwierig, an wechselnden Standorten als Wissenschaftlerpaar jeweils zwei Stellen zu finden?

Wir haben uns immer als Paar, als "Dual Career Couple", beworben, entweder es kommen beide oder keiner. Aber einer von uns hat immer Abstriche gemacht, was die Karrierechancen betrifft. Allerdings war es damals in den USA und auch in England einfacher, Kinder und Karriere zu verbinden. Zum Glück wird dies inzwischen auch in Deutschland immer normaler.

Warum kamen Sie zurück nach Europa?

Wir wollten, dass unsere Kinder in Europa zur Schule gehen und außerdem wieder in der Nähe unserer Familien sein. Deshalb gingen wir 1992 nach Edinburgh und ich arbeitete für die Biotechnologiefirma PPL-Therapeutics, wo ich ein Forscherteam leitete und mit transgenen Tieren arbeitete.

Woran forschten Sie in Edinburgh?

Wir forschten an transgenen Schafen, um etwa aus ihrer Milch einen Faktor zu gewinnen, der Bluterkranken fehlt. Bis dahin erhielten diese Patienten Bluttransfusionen, mit dem Risiko, dass diese mit HIV oder Hepatitis-Viren verseucht waren. Durch die Gewinnung des fehlenden Eiweißes im Tier werden Bluter unabhängiger von Transfusionen. Dazu wurde die notwendige menschliche DNA in tierische Eizellen injiziert, man erhielt transgene Schafe.

Was sind transgene Tiere ?

Sie haben ein verändertes Genom. Die Tiere haben meist zusätzliche Gene von einem anderen Tier oder auch vom Menschen, sodass zum Beispiel Herzen von Schweinen für Transplantationen in Menschen verwendet werden können und nicht durch die Immunabwehr abgestoßen werden.

Sie waren an der Schaffung des geklonten Schafs Dolly beteiligt, dieser Schritt wurde nicht nur begrüßt.

Das Klonschaf Dolly entstand aus einer Euterzelle eines Schafs, es wurden genetisch identische Embryonen geschaffen. Niemand hatte zuvor geglaubt, dass das Klonieren mit erwachsenen Zellen funktioniert. In den USA wurde dieser wissenschaftliche Durchbruch damals recht positiv gesehen, in Europa war und ist das Klonieren von Nutztieren immer noch umstritten. Wir erhielten damals Bombendrohungen und es gab Demonstrationen. Nur einige Wissenschaftler aus unserem Team gaben Interviews und waren öffentlich sichtbar, um ihre Kollegen zu schützen. Alle Pakete, die in unser Institut kamen, wurden aus Angst vor Briefbomben gescannt, und wir wurden im Umgang mit Briefbomben geschult. Es herrschte damals ein Klima der Bedrohung. Das hat sich zum Glück geändert.

Was war besonders am Dolly-Experiment?

Inzwischen ist klar, dass jede Zelle umprogrammiert werden kann, entweder durch den Kerntransfer oder indem man bestimmte Gene in eine Zelle einbringt. Vor 20 Jahren war das eine Sensation, heute benutzen es viele Forscher.

Inzwischen ist nicht mehr das Schaf, sondern das Schwein Ihr Untersuchungsobjekt, woran forschen Sie ?

Ich erhielt 2003 den Ruf an die TU München, an den Lehrstuhl für Biotechnologie der Nutztiere am Wissenschaftszentrum Weihenstephan. Wir modellieren Nutztiermodelle für die Humanmedizin, für die Krebsfrüherkennung oder die Behandlung von Herz-Kreislauferkrankungen. Zu meinem Fachgebiet gehört alles, was mit der genetischen Manipulation von Zellen zu tun hat, zum Beispiel auch für regenerative Medizin oder Reproduktionstechnologie.

Was bringt Ihre Forschung für die Nutztierhaltung in der Landwirtschaft?

Sie ermöglicht es, hornlose Kühe zu generieren, damit die Hornansätze bei Kälbern nicht mehr wie meist üblich weg gebrannt werden, was sehr schmerzhaft für das Tier ist. Eine weitere Fragestellung ist die Schaffung von Tieren, die gegen bestimmte Krankheiten resistent sind, um so den Medikamenteneinsatz zu verringern. Durch die sogenannte "Geneditierung" können wir effizient und präzise das Genom der Tiere verändern und damit natürlich auch den züchterischen Fortschritt beschleunigen.

Vor drei Jahren wurden Sie zur Dekanin gewählt, Sie treten aber nicht für eine zweite Amtszeit an, warum?

Es war eine gute Zeit und ich habe ein gutes Team, das mich immer unterstützt, aber ich werde nicht mehr kandidieren, sondern zurück in die Forschung gehen. Auch am Lehrstuhl ist viel liegen geblieben. Das werde ich ab Herbst aufarbeiten und meine Vorlesungen auf den neuesten Stand bringen, auffrischen und neue Ideen in die Lehre einbringen. Die Zeit als Dekanin möchte ich nicht missen. Ich habe die Uni viel besser kennengelernt, neue Personenkreise und auch die Probleme und Grenzen einer Hochschule.

© SZ vom 17.05.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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