Erinnerungen:Neue Verhältnisse

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Viktoria Luttner hat 1957 am Domgymnasium in Freising Abitur gemacht. Für Mädchen war das zu dieser Zeit nicht selbstverständlich. (Foto: oh)

Ein Mädchen im Gymnasium - in den 50er Jahren war das nicht selbstverständlich. Die Freisingerin Viktoria Luttner hat 1957 auf dem Domberg das Abitur gemacht, als Exotin hat sie sich dennoch nie gefühlt

Von Gudrun Regelein, Freising

Die Freisingerin Viktoria Luttner war eines der Mädchen, die in den Fünfzigern eine höhere Schule besuchen konnten. 1957 machte sie - gemeinsam mit 24 anderen Schülern - ihr Abitur am Dom-Gymnasium, als eines von fünf Mädchen. Hans Zehetmair, der damals das Knabenseminar in Freising, genannt das "Kraut", besuchte, und Engelbert Siebler, der spätere Weihbischof von München und Freising, waren in ihrer Abschlussklasse.

Auch Viktoria Luttner kann, genauso wie Hans Zehetmair, die schweren Vorwürfe, die Hans Elas, ein ehemaliger "Krauterer", kürzlich gegen das Seminar richtete, nicht nachvollziehen. Sie frage sich, wie Elas, der ja nur für eine relativ kurze Zeit, knappe drei Schuljahre, dort gewesen war, solche erheben könne, sagt sie. "Er hätte sich halt anpassen müssen", meint die 1937 geborene Viktoria Luttner. Auch sie, die als Schülerin vom Land nach Freising gekommen war, habe sich an die "neuen Verhältnisse einfach anpassen müssen."

Die gebürtige Münchnerin wuchs in den Kriegsjahren als Ältestes von fünf Kindern auf einem Fischgut in der Nähe Freisings auf. Ihr Großvater hatte das Gut gekauft, bis Ende 1956 war es in Familienbesitz. Ihr Vater war während ihrer Kindheit drei Jahre in einem Internierungslager, die Mutter kümmerte sich nicht nur um die eigenen fünf Kinder, sondern auch um die drei ihrer Schwester. Sie habe trotzdem eine gute Erinnerung an ihre Kindheit, sagt Viktoria Luttner: "Für mich waren es keine schweren Zeiten, wir hatten zu essen, alles war da, was wir brauchten." 1943 schließlich wurde sie in die Volksschule in Haindlfing eingeschult, gemeinsam mit ihrer Cousine Ursel meisterte sie täglich den etwa zwei Kilometer langen Schulweg. Ihre Tante, eine Ärztin, habe bereits früh gedrängt, dass die Mädchen im Wies-Kloster eine Art Nachhilfe bekamen: "Wir sollten gedrillt werden fürs Gymnasium." In der Familie sei es eine Selbstverständlichkeit gewesen, dass auch sie als Mädchen Abitur machte, berichtet Viktoria Luttner. Während ihres ersten Schuljahrs im Dom-Gymnasium lebte sie im Waisenhaus der Armen Schulschwestern an der Kammergasse - und hatte schreckliches Heimweh. Ihre Eltern brachten sie deshalb zu einer Witwe in Freising, dort wohnte sie dann bei einer Frau, die "nicht so nett war", auch wurde sie von deren Sohn getriezt. Nur am Wochenende wurde sie von den Eltern mit der Ponykutsche abgeholt, denn ein Auto hatte die Familie damals noch nicht. Erst in ihrem dritten Jahr im Gymnasium, als sie ein Rad bekam, durfte sie wieder nach Hause - und radelte täglich den langen Schulweg, insgesamt wohl an die 14 Kilometer, wie sie sagt.

Durchweg schöne Erinnerungen an ihre Schulzeit hat Viktoria Luttner indes nicht: Sie sei - als Kind vom Land - von den anderen Mädchen in der Klasse gehänselt worden, musste sich durch ihre ganze Schulzeit durchkämpfen. Trotzdem habe sie sich - als Mädchen in einem Gymnasium - nie als Exotin gefühlt: "So ungewöhnlich war das nicht." 1957, nach zehn Jahren am Gymnasium, machte sie schließlich ihr Abitur, "gar nicht so schlecht", wie sie sagt. Danach besuchte sie die Handelsschule in München und arbeitete viele Jahre lang als Sekretärin und Empfangsdame bei der deutsch-niederländischen Handelskammer und nach deren Auflösung bei der Industrie- und Handelskammer. Das war aber nicht das Ende ihrer beruflichen Laufbahn: Mit Mitte 30 entschloss sie sich, zur Uni zu gehen und studierte Pädagogik. Viele Jahre lang habe sie dann bis zu ihrem Ruhestand unter anderem in Eching und in Moosburg an der Volksschule unterrichtet. Sie war auch nicht die einzige Lehrerin unter den Mädchen in ihrer Abschlussklasse: Alle Fünf wurden Pädagoginnen.

© SZ vom 19.08.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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