Diskussion der Grünen:Den Turbo anschmeißen

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Nach der Diskussion wurde Claudia Roth von Freisings OB Tobias Eschenbacher empfangen und trug sich ins Goldene Buch der Stadt ein. (Foto: Marco Einfeldt)

Claudia Roth fordert mehr Investitionen in die Ausbildung junger Flüchtlinge, um sie möglichst schnell zu integrieren

Von Petra Schnirch, Freising

Bildung, das ist für Claudia Roth so etwas wie ein Grundnahrungsmittel. Sie bietet die Chance auf ein selbst bestimmtes Leben. Bei einer Podiumsdiskussion des Kreisverbands der Grünen im Kardinal-Döpfner-Haus, moderiert von Birgit Mooser-Niefanger, forderte die Vizepräsidentin des Bundestags deshalb nach der Willkommenskultur eine "Willkommensinfrastruktur". In Bayern seien Flüchtlinge in den vergangenen Monaten besonders herzlich empfangen worden. Nun müsse man den "Turbo anschmeißen", damit sie Deutsch lernen und vor allem junge Flüchtlinge die Chance bekommen, eine Ausbildung zu machen.

Vieles läuft derzeit nicht optimal, auch das hat die Diskussion gezeigt. Der Bildungsstand der Asylbewerber könnte unterschiedlicher kaum sein, er reicht vom Akademiker bis zum Analphabeten. Beate Walter-Rosenheimer, Sprecherin für Jugend- und Ausbildungspolitik der Grünen im Bundestag, sagte, sie wünsche sich, dass man sich die Zeit nimmt zu schauen, wie die jungen Leute "passgenau" vorangebracht werden können. Viele von ihnen wollten möglichst schnell arbeiten, um ihre Familien in der Heimat unterstützen zu können. Man müsse sie überzeugen, dass die mehr Lebensperspektiven haben, wenn sie eine Ausbildung machen.

Reinhard Kastorff, der Asylbewerber im Raum Moosburg betreut, kritisierte, dass das Wissen der Ehrenamtlichen nicht abgerufen werde. Sie seien rund um die Uhr ansprechbar, sie wüssten, was die einzelnen Flüchtlinge können, wo sie stehen. Das wäre ein Anhaltspunkt. Doch niemand interessiere sich dafür. "Ich bin ziemlich verärgert", sagte Kastorff dazu. Auch was die Angebote in der Erwachsenenbildung angeht, konstatierte er einen "Wildwuchs quer durch das System". Es gebe viele Aktivitäten und auch Geld dafür, doch alles sei völlig unkoordiniert.

Weiteres Problem sei der unterschiedliche Status der Flüchtlinge. Die eine Gruppe werde "hofiert", etwa die Syrer. Andere, beispielsweise Afghanen, fielen durch sämtliche Raster und lebten mit der Angst, wieder gehen zu müssen. Sie hätten deshalb kaum Bildungschancen, "sind aber dennoch über Jahre hier". Die Folgen seien Langeweile und Frustration. Kastorff sprach provokant von einer "Zeitbombe". Grünen-Kreisrätin Waltraud Heinlein-Zischgl monierte, dass sich Arbeitgeber mit bis zu 50 Verordnungen herumschlagen müssten, wenn sie einen Flüchtling einstellen wollen.

Roth sprach von einer enormen Herausforderung, " vor der wir stehen". Sie wundere sich deshalb, dass es Parteien gibt, die die Menschen "nicht ermutigen" - gerade weil die Stimmung "Spitz auf Knopf steht". Die Politik tue gut daran, die Integration zu unterstützen. Wichtig sei ein sicherer Aufenthaltsstatus gerade für junge Leute, die eine Ausbildung machen wollen. Einen wichtigen "Bündnispartner" sieht sie aktuell in der Kirche. Sie selbst habe noch nie zuvor so viel Hetze erlebt. "Es zeigt sich jetzt, ob unsere Gesellschaft Werte wie Barmherzigkeit und Nächstenliebe leben kann." Das Asylrecht sei ein individuelles Grundrecht, das der Staat nicht pauschal aberkennen könne. "Wir haben eine gesellschaftliche Aufgabe", sagte Kastorff. "Wir haben uns um Menschen zu kümmern."

© SZ vom 20.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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