Digitale Steinzeit:Die Zukunft muss warten

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Im Steinpark ist alles modern. Aber surfen und telefonieren kann man dort bis jetzt nur mit Einschränkungen

Von Christoph Dorner, Freising

Dieter Hannig ist ein begeisterter Wikipedianer. Seit der Gymnasiallehrer vor zehn Jahren in Rente gegangen ist, schreibt er Einträge für das weltgrößte Online-Lexikon, vor allem in Sachen bayerischer Denkmalpflege - wenn er denn für dieses digitale Ehrenamt auch online sein kann. Heutzutage ist das für immer mehr Senioren eigentlich eine Selbstverständlichkeit geworden. Doch bei Hannigs ist das Surfen und Telefonieren seit Mitte April nur sehr eingeschränkt möglich. Und das wird auch noch bis Anfang Juni so bleiben.

Denn Dieter Hannig ist umgezogen. Nicht etwa in ein digitales Entwicklungsland, sondern aus einem Haus am nördlichen Stadtrand in den Steinpark, wo er mit seiner Frau eine Eigentumswohnung bezogen hat. Keine 800 Meter liegen zwischen dem alten und dem neuen Zuhause, einem modernen Wohnkomplex mit 80 Eigentumswohnungen in der Carl-Dettenhofer-Straße, den die Baufirma Scheidl-Baywobau in den letzten eineinhalb Jahren errichtet hat. Und doch kommt es Hannig so vor, als sei er nicht in den Steinpark, sondern in die Steinzeit gezogen.

Der Rentner ist wütend. Und zwar auf die Deutsche Telekom. Die hatte ihren langjährigen Kunden vor dem Umzug für eine Umstellung auf einen Glasfaseranschluss gewinnen können, der im Vergleich zu einem Kupferkabel ein deutlich schnelleres und stabileres Surfen, Streamen und Telefonieren möglich macht.

Bei der Wohnungsübergabe Anfang April hatte man Hannig im Keller die Anschlussstelle für das Glasfaserkabel gezeigt. Er dachte, nach zwei Wochen sei er online, spätestens. Im Telekom-Shop bei der Ummeldung des Anschlusses folgte dann die böse Überraschung: Hannig müsse bis Juni auf das Internet verzichten, teilte ihm der Telekom-Mitarbeiter mit. Tatsächlich wird das Glasfasernetz im Steinpark erst Ende Mai freigeschaltet. Wie kann das sein? Eine Spurensuche.

Nachdem über 1600 Kunden bis ins Frühjahr 2012 einen Vorvertrag für eine Glasfaser-Anbindung unterschrieben hatten, wurden von der Telekom bis zum Herbst 500 Kilometer Leitungen gelegt und 125 Netzverteiler aufgestellt, um nach Vertragsabschluss 20 000 Haushalte zu versorgen. Freising war damit eine der ersten Städte in Bayern mit einer flächendeckenden Glasfaserversorgung, die in ländlichen Gemeinden vielerorts noch ansteht. Bei der Dokumentation des Netzausbaus im Internet ist die Telekom bis heute vorbildlich. Hier klafft auf einer Karte Freisings einzig auf dem Gebiet des Steinparks eine Versorgungslücke, obwohl über Jahre absehbar war, dass dort einmal 900 Menschen wohnen würden, die sich nach ihrem Einzug wohl für den neuen technischen Standard entscheiden würden - und nicht für alte DSL-Verbindungen per Kupferkabel. Dieses Versäumnis kritisiert auch Dieter Hannig.

Die Stadt Freising hat stets für den Glasfaserausbau geworben, er steigere den Wert einer Immobilie, schrieb die Stadt auf ihrer Homepage. Auf Nachfrage lässt das Amt für Straßen- und Brückenbau nun ausrichten, das Areal der ehemaligen General-von-Stein Kaserne sei bis Ende 2013 erschlossen worden. An dem Verfahren sei auch die Telekom beteiligt gewesen, um ihr Glasfasernetz legen zu können. Wann das Telekommunikationsunternehmen die Leitungen tatsächlich verlegt hat, will es auf Anfrage nicht sagen.

Eine Kundendienstmitarbeiterin der Telekom verweist am Telefon darauf, dass die Glasfaserverlegung entgegen der Werbung des Unternehmens eine aufwendige Angelegenheit sei. Weil es sich um einen Neubau handle, sei die Wartezeit von Dieter Hannig nicht verwunderlich, sagt die Kundendienstmitarbeiterin. Hannig will unterdessen gehört haben, dass die Telekom im Raum Freising nur über zwei Glasfaser-Spezialisten verfüge, die mit den Aufträgen nicht mehr hinterher kämen. Die Telekom will das nicht bestätigen.

Hannig hat einen giftigen Beschwerdebrief an die Telekom nach Bonn geschrieben. Außerdem hat er sich einen Surf-Stick besorgt, mit dem er das Nötigste online lesen kann. Die Zukunft muss noch etwas warten.

© SZ vom 16.05.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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