Der Tanz der Sklaven Brasiliens:Mit Capoeira zum Weltbürger

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Der 40-jährige Fabio Fernandes stammt aus Nordbrasilien, wo er Kulturanthropologie studierte und die Geschichte des Capoeira erforschte. (Foto: Marco Einfeldt)

Die Tanz-Kampfkunst aus Brasilien fördert Beweglichkeit, Gleichgewicht, Koordination, Ausdauer und Spontanität. Fabio Fernandes unterrichtet mittlerweile rund 50 Erwachsene und Jugendliche in Freising

Von Katharina Aurich, Freising

Capoeira, die Tanz-Kampfkunst, die ursprünglich aus Brasilien stammt, findet auch in Freising immer mehr Fans. Grund dafür ist Fabio Fernandes. Der Brasilianer lebt mit seiner holländischen Frau und seinen beiden kleinen Kindern in der Domstadt und bietet seit zwei Jahren Kurse in dieser Mischung aus Tanz, Rhythmus und Kampfkunst an. Capoeira besteht aus einem Fluss an tiefen, bodennahen Bewegungen, akrobatischen Elementen, die Gesang und Rhythmen traditioneller brasilianischer Instrumente begleiten. Mittlerweile hat Fernandes rund 50 erwachsene und jugendliche Schüler, die Nachfrage steige. Capoeira sei jedoch mehr als Tanz und Sport, der alle Muskelgruppen bearbeitet und damit Beweglichkeit, Gleichgewicht, Koordination, Ausdauer und Spontanität fördert, sagt Fernandes. Er ist ein sogenannter Instructor, dies bezeichnet die Ausbildungsstufe vor dem Grad "Meister". Die Kompetenzstufen der Capoeira-Lehrer sind weltweit ähnlich strukturiert wie beispielsweise beim Judo.

Fernandes besitzt den grünen Gürtel, seine jüngsten Schüler tragen stolz ihre gelben Kordel. Der Tanzkampf entstand vor über 300 Jahren während der Kolonialzeit, damit drückten die Sklaven, die von Afrika nach Brasilien verschleppt wurden, ihre eigene Identität und den Widerstand gegen die Kolonialherren aus. Zu den Bewegungen gehöre auch die Musik, denn bei Capoeira komme es auf das Zuhören an, sagt Fernandes. Er spielt die Berimbau, ein traditionelles Instrument aus einem gebogenen Stock, einer Saite und einem ausgehöhlten Flaschenkürbis als Resonanzkörper, außerdem ist er Perkussionist. Als Capoeiralehrer müsse man die Instrumente nicht nur spielen, sondern auch selbst bauen können, sagt der 40-Jährige. Fernandes stammt aus Nordbrasilien, wo er Kulturanthropologie studierte und die Geschichte des Capoeira erforschte.

Eines Tages fiel ihm eine Zeitschrift mit der Überschrift "München, die europäische Hauptstadt des Capoeira" in die Hände. Seine Neugier war geweckt, er bewarb sich um ein Stipendium, machte vier Monate lang einen Sprachkurs in Freiburg und kam schließlich an die Ludwigs-Maximilians-Universität (LMU) nach München, wo er seine Doktorarbeit über die Geschichte des Capoeira schrieb. Tatsächlich traf Fernandes in München auf eine große Capoeira-Gemeinde. Sie wurde vom ersten Capoeirameister, der in den 70er Jahren aus Brasilien nach Europa kam, Martinhu Fiuza, gegründet. Mittlerweile gibt es in München 20 Gruppen, die ihren Ruf als "Hauptstadt" begründeten. Fernandes will nun die Geschichte des Capoeira und die weltweit unterschiedlichen Strömungen als Postdoc weiter wissenschaftlich erforschen, aber auch Meister werden.

Dies sei ein harter Weg, denn erst nachdem er 17 Jahre lang praktizierte, wurde er Instructor, jetzt müsse er weiter selbst belegen und unterrichten. In seinen Kursen für Kinder und Erwachsene vermittle er vor allem spielerisch die verschiedenen Techniken. "Ich sehe mir an, was die Kinder können, was sie mögen und passe den Unterricht daran an", beschreibt Fernandes. Es gehe um Spaß und Freude, nicht um Leistung. Was aber nicht bedeute, dass man keine Disziplin benötige, um Capoeira zu erlernen. Der große kulturelle Unterschied zu Brasilianern sei, dass seine Schüler hier in Deutschland keine Fehler machen, sondern von Anfang an möglichst perfekt sein wollten, beschreibt Fernandes. Dabei gehe es darum, sich selbst auszuprobieren und frei zu bewegen. Kinder liegen ihm besonders am Herzen, daher bietet er an einigen Freisinger Schulen Capoeirakurse an. Nach Freising zog Fernandes, da er hier im Gegensatz zu München eine bezahlbare Wohnung fand. Er fühle sich in der Domstadt sehr wohl, die Stadt sei aufgrund der vielen ausländischen Bürger, die oftmals am Flughafen arbeiten, ein internationaler Platz, empfindet er.

"Meine Kurse sind ein Ort, um zusammen zu sein, wo sich verschiedene Kulturen treffen. Wer Capoeira macht, ist ein Weltbürger und fühlt sich dadurch auch in der Fremde zu Hause", so seine Erfahrung. Natürlich vermisse er seine Heimat, einmal im Jahr fliegt er mit seiner Familie dorthin, wo es kontinuierlich 30 Grad hat. Denn seine Kinder, mit denen er portugiesisch spricht, sollen auch diesen Teil ihrer Herkunft kennenlernen, wünscht sich Fernandes. An Deutschland und Freising schätze er besonders die Sicherheit und die vielen Möglichkeiten zu arbeiten oder sich zu bilden.

Am letzten Oktoberwochenende (30./31. und 1. November) organisiert Fabio Fernandes in Freising beim TSV Jahn eine "Batizado", ein großes Fest, während dem seine Schüler den nächsthöheren Gürtel erhalten und in Showtänzen ihr Können zeigen. Dazu kommen Capoeiralehrer aus USA, Frankreich und Mosambik, die Workshops anbieten.

© SZ vom 28.08.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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