Anklage wegen versuchten Totschlags:"Heute kommt mir das absurd vor"

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40-Jährige steht vor Gericht, weil sie sich und ihrem Sohn mit Hilfe eines Holzkohlegrills das Leben nehmen wollte

Von Alexander Kappen, Landshut/Freising

Die Ehe mit ihrem Mann war für sie die erste ernsthafte Beziehung in ihrem Leben. Und als diese Beziehung sieben Jahre nach der Hochzeit zu zerbrechen drohte und ihr Mann sich von ihr trennen wollte, setzte das der 40-jährigen Freisingerin derart zu, dass sie sich im Januar dieses Jahres durch den Rauch eines Holzkohlegrills, den sie im Schlafzimmer anheizte, umbringen wollte. Warum sie bei dem missglückten Suizidversuch allerdings auch ihren fünfjährigen Sohn, den sie laut Zeugenaussagen über alles liebte, mit in den Tod nehmen wollte, war am Dienstag am ersten Hauptverhandlungstag am Landshuter Landgericht weder für den Richter noch den Staatsanwalt nachvollziehbar. Die Freisingerin, die seit 11. Januar in Untersuchungshaft sitzt, muss sich wegen versuchten Totschlags und gefährlicher Körperverletzung verantworten. Das Urteil wird am Donnerstag gesprochen.

Am Anfang lief zwischen der Angeklagten, die bei einem Fernsehsender arbeitete, und ihrem Mann alles nach Plan. Nach der Hochzeit 2007 baute das Paar 2009 ein Haus und der gemeinsame Sohn kam auf die Welt. Der Wendepunkt sei das Jahr 2012 gewesen, als ihr Schwiegervater überraschend gestorben sei, erzählte die Angeklagte. Ihr Mann sei nun viel unterwegs gewesen und habe sich in seine ehrenamtliche Tätigkeit als Rettungssanitäter geflüchtet. Während sie ein inniges Verhältnis zu ihrem Sohn pflegte, "habe ich meinen Mann ein bisschen ausgegrenzt - mein Sohn und ich waren eine Einheit und mein Mann war außen vor". Anfang 2014 begann ihr Mann eine Affäre, im Mai erzählte er der Angeklagten davon, die kurz danach mit dem Sohn zu ihren Eltern zog. Ein paar Monate später wollte es das Paar trotz der fortbestehenden räumlichen Trennung noch einmal miteinander versuchen. "Als sich dann herausgestellt hat, dass er wieder Kontakt zu der anderen Frau hat, war das für mich zum zweiten Mal ein Schlag", sagte die Angeklagte.

Der Mann wollte endgültig die Trennung - und trotzdem zog die 40-Jährige samt Sohn "wieder ein und wollte bis zur Scheidung hier wohnen", sagte ihr Mann aus. Am 9. Januar führte die Mutter der Angeklagten mit dem Schwiegersohn ein "sachliches Gespräch, wie es weitergehen soll", erzählte er. Dann sei seine Frau gekommen und sehr emotional gewesen. Ihrerseits sollen die Sätze "Euch wäre es doch lieber, wenn ich nicht mehr da wäre" und "Ihr werdet schon sehen, was ihr davon habt", gefallen sein. Als Hinweis auf die Tat habe er das nicht aufgefasst.

Doch die 40-Jährige, die sich im Internet informiert hatte, wollte sich am Abend, als ihr Mann außer Haus war, umbringen - und ihren Sohn. Sie habe beschlossen, dass es für ihn das Beste sei, wenn er nicht leiden und ohne Mutter aufwachsen müsse: "Heute kommt mir das absurd vor, ich habe nicht daran gedacht, dass er nicht mein Eigentum ist." Sie klebte Lüftungsschacht, Tür und Fenster des Schlafzimmer mit Klebeband ab, holte den Grill aus der Garage und zündete ihn an, "weil diese Methode schmerzfrei ist". Dann trug sie den Sohn aus dem Kinder- ins Schlafzimmer. Als er gegen drei Uhr aufwachte und wegen der Hitze und schlechten Luft klagte, brachte sie ihn ins Kinderzimmer zurück. Sie legte sich wieder ins Bett, räumte am nächsten Morgen den Grill auf und meinte nicht, "dass Gefahr für meinen Sohn besteht, ich dachte, er schläft". Als der Vater um 15 Uhr nach Hause kam, fand er den kreidebleichen Fünfjährigen bewusstlos im Bett und setzte einen Notruf ab. Der Sohn erlitt kurzzeitig einen Herz-Kreislauf-Stillstand und musste reanimiert werden. Bleibende Schäden wird er wohl nicht davontragen.

Der psychologische Gutachter diagnostizierte bei der Angeklagten weder eine Depression noch Schizophrenie und hält sie nicht für schuldunfähig. Aufgrund "ihrer überhöhten Wertvorstellung von Ehe und Familie" habe sie aber vielleicht gelaubt, dass es für ihren Sohn das Beste sei, mit in den Tod zu gehen: "Mit Logik kommt man hier nicht weiter".

© SZ vom 26.08.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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