Flüchtlinge und Arbeitsmarkt:Fachkräfte von übermorgen

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Nur selten passen Job und Bewerber auf Anhieb zusammen, in der Regel ist Geduld nötig. Die meisten Flüchtlinge brauchen zuerst noch Sprachkurse und andere zusätzliche Qualifizierungen

Von Inga Rahmsdorf

Mit ihrem neuen Mitarbeiter ist Sonja Ziegltrum-Teubner sehr zufrieden. Es war nicht leicht, eine geeignete Person zu finden. Sie hat jemanden für die Werkstatt ihres Betriebs gesucht. "Aber keinen Mechatroniker, sondern jemand, der basteln kann, der noch etwas zaubern kann, auch wenn man kein Ersatzteil mehr für das Fahrzeug bekommt", sagt die Geschäftsführerin eines Parsdorfer Gartenbaubetriebs im Landkreis Ebersberg. Im Januar hat sie endlich den richtigen Mann gefunden, einen Flüchtling aus Nigeria, der seitdem in Vollzeit angestellt ist. Lambert I. hat zwar keinen Abschluss, der hier anerkannt wird, aber er bringt genau die Qualifikationen mit, die der Betrieb braucht. "Er konnte sogar die Kreissäge reparieren, die alle anderen schon aufgegeben hatten", sagt Ziegltrum-Teubner.

Doch im März hat der Nigerianer einen Brief erhalten, dass er nach Italien abgeschoben werden soll. Das Land sei zuständig für sein Asylverfahren, Grund ist die EU-Regelung des Dublin-Verfahrens. Ziegltrum-Teubner findet das völlig unbegreiflich. Sie hat ihren Mitarbeiter sogar ins zuständige Landratsamt nach Dachau begleitet. Doch ohne Erfolg. Sie weiß nun nie, ob Lambert I. am nächsten Tag noch kommt oder ob er von der Polizei abgeholt wurde. Für sie als Unternehmerin sei das enorm frustrierend. Der Mitarbeiter ist eingearbeitet und sie kann zudem nicht einfach eine ungelernte Kraft einsetzen. In ihrem Gartenbaubetrieb arbeitet auch ein afghanischer Flüchtling. "Es war ein Experiment", sagt sie, aber es funktioniere mit den beiden neuen Mitarbeitern sehr gut.

Flüchtlinge müssen so schnell wie möglich in den Arbeitsmarkt integriert werden, das fordern einhellig Politik, Wirtschaft und Sozialverbände. Viele Arbeitgeber suchen dringend Fachkräfte, und die meisten Asylsuchenden wollen unbedingt so schnell wie möglich arbeiten. Gerade im Großraum München fehlt es an qualifiziertem Nachwuchs in Unternehmen - von den Handwerksbetrieben bis zu den Pflegeheimen. Doch wie die Situation im Parsdorfer Gartenbaubetrieb zeigt, müssen sich Arbeitgeber mitunter mit absurden rechtlichen Regelungen herumschlagen. Wie gut gelingt es also tatsächlich, die Flüchtlinge in den Arbeitsmarkt zu integrieren?

Wenn ein Flüchtling eine Aufenthaltsgenehmigung erhält, ist das Jobcenter für ihn zuständig. Die Münchner Behörde betreut derzeit 6800 Menschen aus den Kriegs- und Krisenländern Eritrea, Nigeria, Somalia, Afghanistan, Irak, Iran, Pakistan und Syrien. Eigenen Angaben zufolge hat sie im vergangenen Jahr 1700 und damit 25 Prozent der ihr gemeldeten Flüchtlinge in den Arbeitsmarkt integriert. Damit war die Quote ähnlich hoch wie bei allen anderen Personengruppen. Die meisten Flüchtlinge lebten allerdings bereits seit einigen Jahren in Deutschland.

Kann Geräte noch reparieren, wenn es keine Ersatzteile mehr gibt: Lambert I. ist aus Nigeria geflohen. Nun soll er nach Italien abgeschoben werden (Foto: Christian Endt)

Denn häufig liegt auch nach Abschluss des Asylverfahrens noch ein langer Weg mit Sprachkursen, Qualifizierungen oder der Anerkennung bereits erworbener Abschlüsse vor ihnen. "Bei den Flüchtlingen, die noch nicht lange in der Betreuung des Jobcenters sind, rechnen wir daher mit einer geringeren Integrationsquote. Sie sind die Fachkräfte von übermorgen für den Münchner Arbeitsmarkt", sagt Felix Magin, Sprecher des Jobcenters. Seit Januar 2016 haben 500 Flüchtlinge mit Hilfe des Jobcenters eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung aufgenommen.

Dabei lassen sich grob drei Gruppen ausmachen: Flüchtlinge, die einen akademischen Hintergrund haben, seien sehr gefragt. Der Arbeitsmarkt sei aber auch aufnahmebereit für Menschen mit Fachkenntnissen in handwerklichen oder gewerblichen Berufen. Und drittens gebe es ein großes Potenzial an Stellen im Helferbereich für Menschen, die zunächst einfach nur Geld verdienen wollen. Allerdings will das Jobcenter Flüchtlinge motivieren, sich stattdessen ausbilden oder qualifizieren zu lassen. "Das ist der beste Schutz gegen Arbeitslosigkeit und die beste Grundlage für einen erfolgreichen Berufsweg", sagt Magin.

Wenn man sich die Zahlen zur Ausbildungssituation ansieht, die die Handwerkskammer für München und Oberbayern kürzlich herausgegeben hat, dann sehen sie zunächst nicht sehr vielversprechend aus. Von den knapp 150 Flüchtlingen, die im Herbst 2012 eine Ausbildung anfingen, haben demnach 66 Prozent ihre Lehre frühzeitig abgebrochen. Die allgemeine Abbruchquote liegt sonst bei 30 Prozent. Allerdings bedeute das auch nicht, dass diese 66 Prozent nicht in anderen Betrieben ihre Lehre fortgesetzt oder die Branche gewechselt hätten, sagt Rudolf Baier, Sprecher der Handwerkskammer. Aber trotzdem: Ja, es gebe auch Schwierigkeiten und manchmal würden sehr verschiedene Vorstellungen aufeinandertreffen. Baier sagt aber auch: "Ich hätte nie gedacht, dass wir so viel positives Feedback von den Betrieben erhalten."

Egal, in welchen Branchen man sich umhört, es gibt überall ähnliche Probleme, aber auch viele positive Erfahrungen. Einige Aspekte hört man dabei immer wieder: Die meisten Flüchtlinge seien höchst motiviert, aber es brauche Zeit und Geduld. Die größten Hindernisse seien die Sprache, die finanzielle Situation und mitunter auch die unsichere rechtliche Situation. Und es sei noch zu früh, um Bilanz zu ziehen, denn die Mehrzahl der Flüchtlinge sei noch einen Schritt vor der Ausbildung oder Vermittlung in den Beruf: in Sprach- und Integrationskursen.

Auch wenn sich gerade viele der jungen Flüchtlinge schnell gut auf Deutsch verständigen können, hapert es oft an der spezifischen Fachsprache in der Berufsschule. So müssten unbedingt auch die Fragestellungen in schriftlichen Abschlussprüfungen verbessert werden, fordern viele Unternehmer wie Angela Inselkammer, Vizepräsidentin des Bayerischen Hotel- und Gaststättenverbands (Dehoga). Die Fragen seien oft für Muttersprachler schon schwer verständlich. Ein weiterer Knackpunkt ist die finanzielle Situation. "Die Ausbildungsvergütung ist nicht sehr hoch, da kommen sie in München gerade mit über die Runden. Ihre Familien können sie damit aber nicht unterstützen", sagt Baier von der Handwerkskammer. Doch wenn der Druck wächst, Geld in die Heimat zu schicken oder die Schulden für die Flucht abzubezahlen, steigt manch einer aus der Lehre aus und arbeitet lieber in einer Reinigungsfirma oder bei einem Sicherheitsdienst.

Dass die Flüchtlinge alleine den Fachkräftemangel im Handwerk lösen könnten, damit rechnet Baier zwar nicht, aber er ist trotzdem zuversichtlich, dass immer mehr Betriebe und Flüchtlinge erfolgreich zueinanderfinden. Die Situation sei nun eine ganz andere als noch vor drei Jahren. "Damals hatten wir noch keine Maßnahmen zur Unterstützung." Heute schon. Die Jahrgänge seit 2013 haben ihre Ausbildung zwar noch nicht abgeschlossen, doch vergleicht man die Abbrecherquote der Flüchtlinge im ersten Ausbildungsjahr der Handwerksbetriebe, ist sie immerhin seit 2012 von 19 auf 13 Prozent gesunken.

Es ist wohl ein Prozess, bei dem alle Seiten dazu lernen müssen. So hat die Handwerkskammer erkannt, dass man die Lehrlinge und die Betriebe intensiv unterstützen muss. Seit Januar hat sie deswegen einen Betreuer eingestellt, der Unternehmen und Flüchtlinge berät und mit Mentoren vernetzt. Viele Betriebe setzen zudem auf die Berufsintegrationsklassen, die bayernweit in Berufsschulen Flüchtlinge auf eine Ausbildung vorbereiten. Auch der Bayerische Hotel- und Gaststättenverband hofft unter den Absolventen dieser Klassen viele Auszubildende gewinnen zu können. "Jeder, der bereit ist, sich bei uns einzubringen, der ist bei uns herzlich willkommen", sagt Inselkammer. Gerade bei den internationalen Gästen könnten Flüchtlinge durch ihre Sprachkenntnisse oft punkten.

Bei der Arbeitsagentur München leitet Yasin Birinci das Team "Zentrum Flüchtlinge" mit mittlerweile 18 Mitarbeitern, das sich speziell um Asylsuchende kümmert. Angefangen haben sie vor einem halben Jahr mit 200 Kunden, mittlerweile betreuen sie etwa 2900 Flüchtlinge. Es ist ein freiwilliges Angebot, das offenbar gut angenommen wird. Jeden Tag ließen sich etwa 50 bis 80 neu registrieren. 90 Prozent seien unter 35 Jahre alt, ein Großteil davon sogar unter 25 Jahre. "Die Leute sind wirklich motiviert", sagt Birinci. Aber auch von Arbeitgebern gebe es täglich Anfragen.

"Und sobald die Leute aus den Unterkünften rauskommen können, sind sie unglaublich dankbar dafür", sagt Birinci. Ganz wichtig sei, dass man früh ansetze, und entscheidend seien Praktika, um sich kennenzulernen. Er hat allerdings auch die Erfahrung gemacht, dass eine sonst übliche Probearbeit nicht ausreicht. Die Betriebe müssten auch bereit sein, die Flüchtlinge einzubinden, mal eine Deutschstunde einzubauen, sie auch nach Feierabend sozial einzubinden, sie zu unterstützen. "Die Leute, die gut qualifiziert sind, die finden recht schnell etwas", sagt Birinci. Auf die große Masse treffe das allerdings nicht zu. Der Münchner Arbeitsmarkt gebe jedoch so viel her, dass er sehr zuversichtlich sei, sagt Birinci. "Es wird aber nicht morgen sein, sondern etwas dauern."

© SZ vom 25.05.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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