Flüchtlinge in der Schule:Es braucht mehr Sprachförderung

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Realschulen und Gymnasien müssten da mehr tun

"Reife Leistung" und "Sprachförderung im Unterricht" vom 23. Oktober:

Danke, dass Sie dem Thema Sprachförderung an weiterführenden Schulen ein "Thema des Tages" gewidmet haben. Die angeschnittenen Probleme und Vorhaben berühren jedoch meiner Erfahrung nach nur einen Teil des Problems. Während das Thema an Grund- und Mittelschulen und zunehmend auch an Berufsschulen mittlerweile angekommen ist und Fördermaßnahmen greifen, verweigern sich Realschulen, Fachoberschulen und Gymnasien bislang hartnäckig dem Problem von begabten Quereinsteigern mit Flüchtlingshintergrund. Der Weg von jungen Flüchtlingen endet meist mit dem Mittelschulabschluss, dem Quali oder bestenfalls dem M-Zweig.

Deutsche Sprache wird hier jedoch auf dem Niveau von Deutsch als Zweitsprache unterrichtet und geprüft, ist von daher für die meisten bei guter Förderung noch machbar. Danach werden Deutschkenntnisse auf dem Niveau der Schülerinnen und Schüler verlangt, die den Weg über Grund- und Sekundarstufe in langen Jahren gehen konnten. Von einem Quereinsteiger mit Flucht- oder Migrationserfahrung in diese Phase der Schulbildung werden also in allen textbasierten Fächern, nicht nur im Deutschunterricht, enorme Leistungen verlangt, bei gleicher Bewertung. Dass das nur sehr begabte Schüler sind, zeigen ihre meist überdurchschnittlichen Leistungen in den mathematisch-naturwissenschaftlichen Fächern. Dazu kommt, dass ihnen oft auf Grund des Altersparagrafen der Gymnasien die Tore zu diesen "höheren Weihen der Bildung" verschlossen bleiben und sie auf andere Bildungswege verwiesen werden.

Ich vermisse hier jede Sensibilität der Schulbehörden gegenüber diesen Schülern. Lösungen wären erst einmal ganz einfach: 1. Lockerung des Altersparagrafen. 2. Nachteilsausgleich im Umfang der Erleichterung für Legastheniker, sprich Zeitverlängerung, Nicht-Berücksichtigung bestimmter Fehler, stärkere Bewertung des Mündlichen. 3. Benutzung eines deutsch-deutschen Lexikons (Deutsch als Fremdsprache), denn der Duden ist hier nicht ausreichend. In anderen Fremdsprachen dürfen das deutsche Schüler auch, warum nicht umgekehrt. Und was spricht gegen die Aufwertung der Muttersprache (und das sind in erster Linie Arabisch und Farsi) dieser Schüler als anerkannte Fremdsprache, in der man eine Prüfung ablegen kann? Dadurch würde auch das erschwerend zusätzliche Erlernen einer weiteren Fremdsprache neben Englisch wegfallen.

Es gäbe also neben der sicher notwendigen und ausbaufähigen Sprachförderung dieser Schüler genügend einfache Hilfen. Durch solch einfache administrative Änderungen könnte man auch Lehrer ermutigen, endlich ihrem pädagogischen Auftrag gegenüber diesen Schülern nachzukommen, statt kleinlich Fehler anzustreichen und zu bewerten. Dazu kommt noch, dass dies nichts kosten würde außer ein bisschen guten Willen. Aber am politischen Willen hapert es. Wo keine Lobby ist, ist kein politischer Wille, und wo kein Wille ist, ist kein Weg.

Gerhard Böhm, Gymnasiallehrer i.R. und ehrenamtlicher Sprachbegleiter für junge Flüchtlinge, München

© SZ vom 07.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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