Flexible Grundschule:Wenn der Piri mit dem Krok

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Erst- und Zweitklässler lernen gemeinsam, jeder nach seinem eigenen Plan, jeder in seinem eigenen Tempo. Das ist die Idee des Projekts Flexible Grundschule, wie es zum Beispiel an der Burmesterschule seit Jahren erprobt wird. Nun wird es ausgeweitet

Von Melanie Staudinger

"Der Krok holt die Karte, die Piris gehen zu ihren Kroks. Und das Ganze im Flüsterton, bitte", sagt Lehrerin Susanne Greiner. Was für Außenstehende wie unverständliches Blabla klingt, ist für die Kinder der Klasse 1/2b Alltag. Jetzt ist Partnerarbeit angesagt. Die Mädchen und Jungen sollen rechnen, Multiplikationsaufgaben stehen auf dem Stundenplan. Jedes Kind weiß, was es zu tun hat. Jedes hat seine eigenen Aufgaben und rechnet in seinem eigenen Tempo. Wer früher fertig ist, bekommt Bonusrechnungen. Wer länger braucht, hat alle Zeit dafür. Und wenn einer eine Frage hat, wendet er sich an seinen Partner. "Ich habe lauter kleine Helfer", sagt Greiner.

Sie unterrichtet eine von zwei besonderen Klassen an der Burmesterschule im Münchner Norden, die es in dieser Form nur an drei Münchner Grundschulen gibt. Flexible Grundschule heißt das Projekt, an dem sich die Schule seit nunmehr sieben Jahren beteiligt. Hier durchlaufen die Kinder die Jahrgangsstufen eins und zwei in einem, zwei oder drei Jahren, je nach Begabung und Entwicklungsstand. Und für das Projekt interessieren sich langsam auch andere Münchner Grundschulen, die sich bisher recht zögerlich zeigten. Nach den Grundschulen an der Burmesterstraße, an der Ittlingerstraße und an der Thelottstraße steigt nun auch die Grundschule an der Walliser Straße in das Modell ein, das schwache wie starke Schüler gleichermaßen fördert und eine Diskriminierung durch Sitzenbleiben verhindert.

In der Klasse 1/2 b an der Burmesterstraße sitzen zwölf Erst- und zehn Zweitklässler und lernen gemeinsam. Die Großen nennen sich Kroks, nach dem Maskottchen aus dem Sprachbuch für Zweitklässler. Die Kleinen heißen Piris, wie das Wiesel aus ihrer Lesefibel. Ein Zwei- und ein bis zwei Erstklässler bilden jeweils ein Team. Alleine diese Klassenorganisation zeigt, dass hinter der flexiblen Grundschule weit mehr steckt als nur jahrgangsgemischter Unterricht.

Tarik (links) und Moritz zeigen, wie Partnerarbeit richtig funktioniert. (Foto: Robert Haas)

Den klassischen Frontalunterricht kennen die Kinder kaum. Lediglich zu Beginn einer neuen Einheit erklärt Lehrerin Greiner den Stoff. Dann arbeiten die Mädchen und Jungen für sich. Jedes Kind hat seinen eigenen Plan, den es bearbeitet, für Mathe, für Lese- oder Schreibübungen. Wer mit einer Aufgabe fertig ist, lässt sich diese von der Klassleitung abzeichnen und beginnt mit der nächsten. Beim Rechnen etwa zählen die Piris bis 20, die Kroks schon bis 1000. "Von der Rechenart her aber macht das keinen Unterschied", sagt Greiner. Das ist beim Schreiben ähnlich. Die Kleinen üben sich in Druckschrift, die Großen in Schreibschrift.

"Das Schulsystem passt nicht auf alle Kinder", sagt Schulleiterin Dorothea Wilhelm. Gerade in der ersten Klasse seien die Kinder so unterschiedlich: Die einen können bereits lesen, die anderen haben Schwierigkeiten, die deutsche Sprache überhaupt zu verstehen. Manche rechnen schon, andere sind schüchtern und trauen sich kaum, sich im Unterricht zu melden. Um dieser Vielfalt zu begegnen, hat die Burmesterschule zunächst versuchsweise die flexible Eingangsstufe eingeführt.

Im September 2010 startete Lehrerin Barbara Buschkow mit einer ersten Klasse. Im zweiten Jahr wurden die Kinder auf zwei Klassen aufgeteilt, neue Erstklässler kamen hinzu. Seitdem ist auch Greiner dabei. Wie die Schüler ausgewählt werden, kann Rektorin Wilhelm nicht pauschal sagen. "Es kommt auf die Mischung an", erklärt sie. Deshalb können Eltern bei der Einschreibung zwar den Wunsch angeben, dass ihr Kind eine Flexi-Klasse besuchen soll. Da es aber jedes Jahr mehr Anmeldungen gibt, hängt die Auswahl immer von den Mitbewerbern ab. Von der dritten Jahrgangsstufe an besuchen die Kinder regulären Unterricht: Aus den Zweitklässlern der flexiblen Klassen wird eine dritte Klasse.

In der Klasse von Lehrerin Susanne Greiner sitzen Erst- und Zweitklässler. Die Kleinen haben sich nach dem Wiesel Piri, die Großen nach dem Krokodil Krok benannt. (Foto: Robert Haas)

Für Greiner hat die flexible Grundschule viele Vorteile: Die Kleinen profitieren vom Wissen der Großen. Überflieger-Kinder werden geerdet, weil sie merken, dass sie längst noch nicht alles können und daher doch lieber lernen sollten. Die Erstklässler fühlen sich schnell wohl an der neuen Schule, weil sie einen Begleiter haben, der sich schon auskennt. Die Zweitklässler üben sich in Sozialkompetenz. Zudem lernen alle von Anfang an, dass sie selbständig arbeiten müssen. Vorgekaut und auswendig gelernt wird hier nicht. "Die Kinder dürfen aber nicht nur tun, was sie wollen", sagt Greiner.

In ihrer Klasse lösen die Schüler nun Leseaufgaben. Es ist still im Raum. Wenn die Kinder sprechen, dann unterhalten sie sich leise über den Unterrichtsstoff. "Wir können jetzt schon Gruppenarbeit machen", sagt Greiner. Das habe früher bei Frontalunterricht immer bis zum Ende des ersten Schuljahres gedauert.

© SZ vom 01.06.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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