Filmreihe:Raritäten statt Blockbuster

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Die Kinoabende mit anschließenden Gesprächen sind für Laura von Seefranz durch nichts zu ersetzen. (Foto: Stephan Rumpf)

Laura von Seefranz betreibt den Kino-Rio-Treff. Cineasten stellen hier seit 25 Jahren ein ganz persönliches Programm zusammen

Von Martina Scherf, München

Über den Rosenheimer Platz zieht ein lauer Herbstwind, die Sonne lädt zum Verweilen ein - und doch herrscht hier Hektik. Menschen hasten vorbei, zur U-Bahn, in die Geschäfte. Das kleine Café im Rio-Kino ist dagegen eine Ruheort, angenehm zeitlos, perfekt zum Innehalten und Reden über das Kino und das Leben. Laura von Seefranz, Rollkragen, dunkles Jackett, Pagenkopf, nippt an ihrem Milchkaffee. Man könnte sie sich gut in einem jener melancholischen Filme aus Paris vorstellen, einem Truffaut oder in der "fabelhaften Welt der Amélie". Tatsächlich mag sie französische Filme, "aber ich liebe auch die Marx-Brothers, kennen Sie ,Skandal in der Oper'? Genial!"

Die junge Anwältin hat eine Leidenschaft fürs Kino, allerdings auch klare Vorstellungen von einem guten Film. Blockbuster, und seien sie technisch noch so raffiniert, oder Manierismus à la Lars von Trier, das reizt sie kein bisschen. Arthouse-Filme interessieren sie, Stoffe und Charaktere, bei denen man mit eigenen Erfahrungen andocken, weiterdenken kann, wenn der Abspann gelaufen ist. Auf den Rest verzichtet sie, dann lieber lesen, malen, Musik hören. Seit einigen Jahren organisiert die 36-Jährige den Kino-Treff im Rio. Er ist ein Ableger der traditionsreichen Theatergemeinde München, die ihren Abonnenten Empfehlungen für Theater und Konzerte bietet. Ein kleines Team von Cineasten trifft sich ein paar Mal im Jahr und stellt ein ganz persönliches Programm zusammen. Eine Rarität in der Münchner Kinolandschaft.

Seit 25 Jahren gibt es diese Einrichtung, vier Abende pro Halbjahr finden statt, jedes Semester hat einen Schwerpunkt. In diesem Herbst dreht sich alles um Musik. "Musikfilme sind ja ein wunderbares Medium", sagt Laura von Seefranz, "um alle Lebensthemen zu behandeln." So läuft zum nächsten Termin am 25. November "Die rote Violine" von Francois Girard. Als nächstes stehen dann die Blues Brothers auf dem Programm. Zu jedem Abend gibt es eine Einführung durch einen geladenen Gast und eine Diskussion. "Manche Leute öffnen sich da spontan, erzählen von eigenen Erlebnissen, das ist oft sehr berührend", sagt Laura von Seefranz.

Der Rio-Filmpalast, 1960 gegründet, ein Familienbetrieb und eines der ältesten Kinos der Stadt, ist der perfekte Rahmen für solche Begegnungen. Je nachdem, wie viele Zuschauer der Kino-Treff erwartet, wird der große rote oder der kleinere blaue Salon gebucht. Vorher kommt es oft zu hitzigen Debatten im Team. "Die Vorlieben liegen oft weit auseinander, aber das macht es gerade lebendig." Auch ein Vertreter der katholischen Kirche ist dabei. Das hat seinen Grund: Denn die Idee zum Kino-Treff hatte die engagierte Katholikin Paula Linhart, die 106 Jahre alt wurde und bis zuletzt begeisterte Kinogängerin war. Filme sollten Werte vermitteln, meinte sie.

Aber braucht man ein kuratiertes Filmprogramm noch in Zeiten von Google-Chrome und HD-Fernsehen? "Unbedingt", sagt Laura von Seefranz. Sie hat das Engagement von ihrer Mutter geerbt, die im Vorstand der Theatergemeinde tätig ist, aber sie hat keine Minute an dessen Sinn gezweifelt. "Ich schaue mir auch viel zu Hause an, aber diese Kinoabende mit fast vergessenen Raritäten und die anschließenden Gespräche - das ist durch nichts zu ersetzen. Gerade in München, wo es nur noch wenige Programmkinos gibt".

Im Brotberuf ist die geborene Münchnerin Anwältin für Steuer- und Arbeitsrecht für Unternehmen. Weil es ihr aber nicht reicht, nur die Seite des Kapitals zu vertreten, verteidigt sie auch immer wieder Arbeitnehmer. Das Engagement für Schwächere scheint zu ihrer Natur zu gehören. Nach dem Abitur verbrachte sie drei Monate in einem Kinderhaus in Liverpool, die rohen Burschen gingen das Mädchen aus gutem Hause heftig an, dennoch sagt sie, "das war die beste Zeit meines Lebens". Ihren Sommerurlaub hat sie zuletzt beim Tango-Festival in Varna, Bulgarien, verbracht, "da ist alles im Aufbruch, da prallen die Gegensätze aufeinander, das ist spannend". Sie hat dort Kontakt zu einem Hilfsprojekt für Sinti und Roma aufgenommen, ihr Auto gespendet und will unbedingt wieder hin.

Dass ihr Lieblingsfilm ein Melodram ist, wundert nicht: "Leolo", eine franko-kanadische Geschichte über eine Adoleszenz im Ghetto von Quebec. Die Musik dazu stammt von Tom Waits, sie geht ihr unter die Haut. "Es ist ein Film, der viel Freiraum lässt", sagt sie, für den Traum von einer besseren Welt.

© SZ vom 11.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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