Fehlerhafte Messanlagen:Harmlose Raserjäger

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Mit solchen Geschwindigkeitsmessanlagen geht die Polizei auf Raserjagd. (Foto: DPA/DPAWEB)

Die Polizei musste sechs Autos, die per Videomessung Temposünder jagen, zurückziehen, weil die Messanlagen nicht der Norm entsprechen. Damit sind die Daten der Temposünder vor Gericht nicht verwertbar. Einige mutmaßliche Schnellfahrer konnten davon bereits profitieren.

Von Christian Rost

Die zivilen Einsatzfahrzeuge der bayerischen Polizei, die per Videomessung Temposünder jagen, sind bei Autofahrern gefürchtet. Die Gefahr, von einem der Raserjäger aufgebracht zu werden, hat sich in den vergangenen Monaten allerdings reduziert. Im Raum München und Oberbayern mussten seit Juni 2013 sechs Fahrzeuge aus dem Dienst genommen werden, weil die Geschwindigkeitsmessanlagen nicht der Norm entsprechen.

Teils hat die Polizei durch falsche Wartung ihre Autos selbst lahm gelegt, teils waren nagelneue Fahrzeuge schon mit falschen Signalkabeln geliefert worden. Bundesweit sind 90 Polizeifahrzeuge der Marke Mercedes von dem Problem betroffen.

Wegen der technischen Probleme bei den Video-Fahrzeugen sind am Münchner Amtsgericht bereits mehrere Verfahren gegen mutmaßliche Schnellfahrer geplatzt. Allein der Münchner Rechtsanwalt Heinrich Wenckebach konnte nach eigenen Angaben in sechs Fällen eine Einstellung erreichen, weil er erfolgreich die Messmethoden der Polizei angezweifelt hat. "Und es kommen noch mehr solcher Verfahren", ist sich der Verkehrsanwalt sicher.

Ein Gutachter an einem Verkehrsgericht in Baden-Württemberg hatte im Frühjahr 2013 festgestellt, dass in neu ausgelieferten Mercedes-Fahrzeugen zu lange Kabel an der Geschwindigkeitsmessanlage "ProViDa 2000" eingebaut worden waren. Die Videokamera an der Frontscheibe im Polizeifahrzeug muss mit dem Computer, der im Heck steht, mit einem exakt drei Meter langen Signalkabel verbunden sein.

Wird daran etwas geändert, verliert die Messanlage ihre Zulassung durch das Physikalisch-Technische Bundesamt. Die Geschwindigkeitsdaten sind dann nicht mehr gerichtsverwertbar. Den Verkehrsrichtern bleibt oft nichts anderes übrig, als die Verfahren gegen die mutmaßlichen Temposünder einzustellen, wenn die Polizei nicht noch andere Beweise vorlegen kann. Und das ist in den seltensten Fällen möglich. Das bayerische Innenministerium hat die Polizeipräsidien deshalb mit einem Schreiben vom 13. Juni 2013 aufgefordert, technische Überwachungsmaßnahmen mit neuen Mercedes der C- und E-Klasse "sofort einzustellen".

An die Polizeipräsidien München, Oberbayern Nord und Süd waren im vergangenen Jahr drei Mercedes mit zu langen Signalkabeln geliefert worden. Die Kabel konnten nicht einfach durch kürzere ersetzt werden, weil das Auto - beziehungsweise der Kabelweg im Fahrzeug - schlicht zu lang ist.

"Diese Fahrzeuge können momentan nur zur normalen Verkehrsüberwachung eingesetzt werden", sagt Michael Siefener, Sprecher im Innenministerium. Noch bis 20. März müssen die Tempomessanlagen ausgeschaltet bleiben, erst dann will das Physikalisch-Technische Bundesamt bekannt geben, ob auch die langen Kabel exakte Messergebnisse übertragen.

Während sich die betroffenen Autofahrer über die technische Panne bei der Polizei freuen, hat die Verkehrspolizei Freising ein echtes Problem: Ihr steht derzeit überhaupt kein mit einem sogenannten Police-Pilot-System ausgestattetes Fahrzeug mehr zur Verfügung. Der voriges Jahr neu angeschaffte Polizei-Mercedes kann nicht zur Videomessung ausrücken, weil auch in diesem Auto ein falsches Signalkabel steckt.

Und ein älteres Dienstfahrzeug, ein BMW, wurde versehentlich bei der Wartung in der Werkstatt der Bereitschaftspolizei in Dachau nachträglich mit einem ebenfalls zu langen Kabel ausgerüstet. Das ist in der Polizeiwerkstatt noch bei zwei weiteren Autos passiert. Vermutlich, weil sich ein Fünf-Meter-Kabel leichter verlegen lässt als ein knapp bemessenes Drei-Meter-Kabel, haben die Mechaniker einfach zur längeren Leitung gegriffen.

Nun konnte dieser Fehler bei den BMWs wieder rückgängig gemacht werden: langes Kabel raus, kurzes rein. Im Fall des BMW der Polizei in Freising war das aber vergebliche Liebesmüh. Der Wagen mit 400 000 Kilometer Laufleistung erlitt kurz nach dem Eingriff einen kapitalen Motorschaden.

Die Freisinger Beamten verfügen deshalb momentan über kein Video-Fahrzeug mehr. Deshalb können sie etwa auf der Flughafenautobahn nur mit Standgeräten blitzen oder anhand der Tachoanzeige im Polizeiauto Geschwindigkeitsübertretungen ahnden.

Das ist juristisch betrachtet allerdings eine knifflige Angelegenheit: Bei der reinen Tachomessung ohne Videoaufzeichnung müssen zugunsten des Temposünders 20 Prozent von der gefahrenen Geschwindigkeit abgezogen werden, weil diese Methode ungenau ist. Das hat zur Folge, dass viele Fälle von Raserei nur noch eingeschränkt oder überhaupt nicht mehr geahndet werden.

Autofahrer sollten deshalb aber nicht gleich auf Gas drücken. Denn 42 Polizei-BMW mit einer zugelassenen Geschwindigkeits-Messanlage sind noch auf den bayerischen Straßen unterwegs.

© SZ vom 14.02.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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