Wirtschaft:Ohne Ausländer läuft gar nichts

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Deutschland sei längst ein Einwanderungsland, sagt IHK-Vizepräsident Otto Heinz. Migranten sind unverzichtbar in den Unternehmen, das belegen Statistiken

Von Florian Tempel, Erding

"Ohne die ausländischen Arbeitskräfte geht es gar nicht mehr." Otto Heinz, Vizepräsident der IHK München-Oberbayern und Vorsitzender des Regionalausschusses Erding-Freising, hat die Daten der aktuellsten Statistik parat. Sie zeigt die Veränderung der Beschäftigten von September 2016 auf September 2017. In diesen zwölf Monaten verringerte sich die Zahl der deutschen Arbeitnehmer im Landkreis um 343. Gleichzeitig wurden jedoch 663 Jobs mit Ausländern besetzt. Man müsse sich klar machen, was es bedeuten würde, wenn nicht so viele Arbeitnehmer aus dem Ausland kämen, sagt Heinz: "Nur mit Deutschen geht es nicht. Die Unternehmen hätten Stellen abbauen müssen" - mitten in der aktuellen Phase der Hochkonjunktur.

Die Dynamik des Zuzugs und der Arbeitsmigration ist so enorm, dass sich in relativ kurzer Zeit vieles erstaunlich schnell ändern kann. Binnen neun Jahren hat sich die Anzahl der ausländischen Arbeitnehmer im Landkreis Erding von 2230 auf fast 9000 mehr als vervierfacht. Mittlerweile haben bereits 20 Prozent der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten im Landkreis keinen deutschen Pass. Der Anteil ausländischer Arbeitnehmer ist damit sogar wesentlich höher als der Ausländeranteil in der Bevölkerung. Wie das sein kann? Eine einfache Erklärung: Es ziehen keine Rentner und Pensionisten aus dem Ausland zu.

Die Agentur für Arbeit führt über alles genau Buch, ihre Daten und Statistiken sind umfangreich und sehr detailliert. Mit zuletzt 1075 Arbeitnehmern sind mittlerweile die Rumänen unter den ausländischen Beschäftigten im Landkreis am stärksten vertreten. Fast gleichauf wurden 1029 Ungarn mit festen Jobs gezählt. Auf Platz drei liegen die Arbeitnehmer mit einem kroatischen Pass (796) noch vor den Türken (772) und Polen (636). 86 Prozent der ausländischen Arbeitnehmer im Landkreis sind Europäer, zwei Drittel sind EU-Bürger. Man kann in der Statistik auch nach eher seltenen Herkunftsländern suchen und findet auch diese: Nur acht Dänen arbeiten hier, nur fünf Argentinier und gerade mal vier Neuseeländer. Da ist noch Luft nach oben.

Die meisten mit Ausländer besetzten Stellen, gut 70 Prozent, sind qualifizierte Berufe, sagt die Pressesprecherin der Agentur für Arbeit, Kathrin Stemberger. Schwerpunktmäßig sind Ausländer in den Branchen Verkehr und Lagerlogistik, Gastgewerbe und Handel beschäftigt. Das sei freilich auch deshalb so, weil das ganz allgemein die wesentlichen Branchen im Landkreis sind.

Bei der Arbeitsagentur weiß man all die Zahlen zu den ausländischen Beschäftigten gar nicht so sehr aus eigener Anschauung, sondern auch nur aus der Statistik, die mit Daten der Sozialversicherungen erstellt werden. "Es melden sich zwar immer wieder arbeitssuchende Personen aus dem Ausland bei uns", sagt Stemberger. "Aber der Großteil der ankommenden Ausländer findet eigeninitiativ Arbeit bei Arbeitgebern in der Region." Zur Arbeitsagentur kommen Ausländer meist erst, wenn sie ihren Job im Landkreis verloren haben. Ausländer sind etwas stärker von Arbeitslosigkeit betroffen, ihr Anteil liegt hier bei 23 Prozent.

IHK-Vize Heinz führt ein große Entsorgungsfirma in Moosburg. Berufskraftfahrer sind seine "wesentlichen Mitarbeiter", sagt er, und die seien aktuell sehr schwer zu finden. Als es noch die Wehrpflicht gab, machten viele bei der Bundeswehr einen Lastwagenführerschein. Das gibt es nicht mehr. Wer auf eigene Kosten einen Lkw-Schein machen möchte, muss etwa 6000 Euro hinlegen. Das tut keiner. Heinz hat wegen des Fahrermangels bislang vor allem auf Weiterbildung gesetzt und viele seiner Müllkipper zu Kraftfahrern ausbilden lassen. Andere Unternehmen suchen und finden neue Mitarbeiter im Ausland auf den verschiedensten Wegen: über informelle Kontakte, spezialisierte Personalagenturen oder den Internationalen Personalservice der Arbeitsagentur. Der versuche gezielt, bei sogenannten Engpassberufen im Ausland Fachkräfte zu gewinnen, sagt Kathrin Stemberger. Für den Landkreis Erding würden aktuell Berufskraftfahrer, Pfleger und Mitarbeiter für Hotellerie und Gastronomie gesucht.

Otto Heinz hält die Rekrutierung von Fachkräften aus anderen EU-Ländern jedoch nicht für ausreichend. Deutschland brauche eine "gesteuerte Zuwanderung" aus "Drittstaaten". Die IHK hat sich vom Münchner Ifo-Institut eine Expertise erstellen lassen, wie das aussehen könnte. Die Verfasser fordern ein Punktesystem für Einwanderer ähnlich wie in Kanada. Wie in Kanada? Ja, sagt Heinz, Deutschland sei längst ein Einwanderungsland.

© SZ vom 05.05.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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