Wenn gar nichts mehr geht:Letzte Chance Wartenberg

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"Hundsbuam": Die Ganztagsintensivklasse nimmt Schüler des Landkreises Erding auf, die niemand sonst mehr haben will - ein Fernsehteam war mit der Kamera dabei

Wolfgang Schmidt

Alles war angeblich nur halb so schlimm: "Ich habe die Lehrerin gemobbt und geraucht - und das war es auch schon." Ein klassischer Fall von fehlender Selbsteinsicht, ein Rausschmiss die bittere Konsequenz. Der junge Mann aber hatte Glück im Unglück. Er ist in Wartenberg gelandet, genauer gesagt in der dortigen Heimvolksschule, und noch genauer in der Ganztagsintensivklasse (Gik). Die Gik nimmt Schüler des Landkreises Erding auf, die in den normalen Schulen niemand mehr haben will. Sie ist die letzte Chance, den Schulabschluss zu machen. Und der Weg zum Zeugnis wird schwer, für einige zu schwer. Diese Mühen hat ein Fernsehteam von BR alpha verfolgt. Regisseur Alexander Riedel hat ein Jahr lang die Gik begleitet und eine 94-minütige Dokumentation gedreht. Die Darsteller heißen Harry, Lucas, Ramazan, Maxi, Freddy, Robert, Dimitri, Eric und Nico. Alles Buben also - und ein ziemlich verlorener Haufen. Es gibt die Sozialpädagogin Lisa Walde zu sehen und den Schulhund, die Zenzi. Die wichtigste Rolle aber hat Walter Mooser. Mooser ist der Klassenlehrer. Ein ruhiger Mann, dessen ganzes Auftreten Beharrlichkeit ausströmt. Disziplin ist das A und O - und Disziplin fängt in der Gik schon bei der Sprache an. Wörter wie "geil" sind verpönt. Beschimpfungen wie "Vollidiot" werden nicht geduldet. Es ist ein zäher Kampf zwischen Lehrer und Schüler, es ist ein Ringen um gegenseitige Anerkennung und Respekt. Symptomatisch ist ein Gespräch zwischen Klassenlehrer und Schützling, bei dem es um die Klärung der nicht ganz unwichtigen Frage geht, wo der üble Scherz aufhört und ein Diebstahl anfängt. Solche und ähnliche Gespräche gehören zum täglich Brot des Walter Mooser. Wenn es keine Einigung gibt, muss man sich trennen. Das Kamerateam filmte die Jugendlichen in allen Lebensbereichen, war bei ihren Praktikumsversuchen ganz nah dabei, begleitete sie nach Hause. Der Grat, nicht in den Voyeurismus abzugleiten, ist schmal. Was BR-alpha-Leiter Werner Reuß bei der Vorstellung des Streifens im Erdinger Lichtspieleberg ohne Umschweife zugab. Gelungen ist Regisseur Riedel aber ein ungeschminkter Blick ins ganz normale Leben von Problemkindern. Nach der Premiere für geladene Gäste wird allseits die Meinung geteilt, man habe "einen Blick ins Fenster der Jugendlichen werfen" können. Es ist deren Unsicherheit, die bei aller fassadären Coolness das Geschehen prägt. Vier Zöglinge werden am Ende ihren Schulabschluss in der Tasche haben. Dass das aber nicht das Ende eines bisher ziemlich verkorksten Lebens ist, sondern nur der allererste Anfang auf dem Weg in ein normales, zieht sich wie ein roter Faden durch die Dokumentation: Harry hat den Schulabschluss geschafft, eine Lehrstelle bekommen und ist dann nach Stress mit den Kollegen einfach abgehauen - es geht wieder ganz von vorn los. Und einer der Schulabgänger wird schnell auf die schiefe Bahn geraten. Wie wird man Lehrer an der Gik? Warum lädt man sich freiwillig so etwas auf? Für Walter Mooser ist der Job ganz normal. Also kein bisschen Sendungsbewusstsein? Mooser war Hauptschullehrer, als der Landkreis Erding eine Schule für die Ganztagsintensivklasse gesucht hat. Die Wahl sei dabei "zufällig" auf Wartenberg gefallen, wo er schon vorher unterrichtet hatte. "So hat sich das ergeben." Und jetzt will er ausloten, was ist drin, wenn man sich um diese Jugendlichen kümmert, "die teilweise schon abgeschrieben waren. Es steckt in jedem was." Mooser ist in seinem Job praktisch immer erreichbar und hofft, "dass das auch in Anspruch genommen wird". Einen Mittelweg oder 90 Prozent dürfe es bei der Gik nicht geben, "weil wir ja auch von den Kindern verlangen, dass sie sich durchbeißen." Schulleiter Michael Braun ist nach der Vorführung die Erleichterung anzusehen. Ein Fernsehteam im Haus ist mitunter gar nicht so leicht zu koordinieren, hat er festgestellt. Seinen Lehrkräften macht er ein Riesenkompliment, was die leisteten, "ist unglaublich". Der Film trifft seiner Einschätzung nach gut die Situation an der Gik. Vielleicht komme das "ad-hoc-Reagieren" nicht ganz so heraus. Aber: "Die Gratwanderung ist dem Regisseur gut gelungen." Und was sagen die Darsteller zu ihrer Rolle? Eric, fast 16, fand den Film gut, schließlich haben man die ganzen "alten Leute wiedergesehen". Die vom Fernsehen hätten einen auch so gelassen, wie man ist. Stress habe es allerdings auch schon gegeben, wegen der Wiederholungen. Das war im Sommer am Schlimmsten, "weil's so warm war, das hat dann genervt". Der Satz hätte genauso im Film fallen können. Robert, 16, dagegen hält das alles für einen "rechten Schmarrn" und sagt auch noch das Sch.-Wort, für das er vom Lehrer Mooser gewiss einen Anpfiff bekommen hätte. Robert urteilt, den Film hätte es nicht gebraucht, weil's "einfach unnützig" ist. Freddy, 17, findet zwar, dass er persönlich "richtig negativ rüberkommt", aber Hauptsache es war "ein bisschen lustig und auch komisch, sich zu sehen". Sozialpädagogin Lisa Walde sitzt seit drei Jahren in Wartenberg mit im Boot. Manchmal sei die Arbeit schwieriger, manchmal leichter - wie überall. Wenn man aber sehe, wie es den Jugendlichen hilft, "ein Stück aus dem Schlamassel herauszukommen", dann mache man gewiss das Richtige. Einen Wunsch will Lisa Walde noch unbedingt loswerden: "Mehr Giks in Bayern wären toll." Die Dokumentation "Hundsbuam - die letzte Chance" ist eine Produktion der Eikon Süd für BR-alpha. Regie hatte Alexander Riedel, die Redaktion Werner Reuß. Der Film kommt im Herbst ins Bayerische Fernsehen.

Ohne Schulabschluss ist der Sprung in die vermeintlich große Freiheit nicht zu machen. Die Wartenberger Lehrer ziehen alle Register, um die Jugendlichen doch noch ans Ziel zu bringen. (Foto: Alexander Riedel)
© SZ vom 02.03.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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