Neuanfang:Vom Traumschiff in den Reiterkasten

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Ein Topmanager und ein Spitzenkoch machen sich selbständig und suchen mit ihren Familien das Glück in der Provinz. Das Bier vom Wartenberger Bräu ist geblieben, alles andere haben Anton Müller und Simon Wankerl aus der Wirtsstube hinausgefegt

Von Wolfgang Schmidt, Wartenberg

Das Hotel-Restaurant Reiter in Wartenberg war auf dem besten Weg, jene unrühmliche Liste zu verlängern, die das Wirtshaussterben im Landkreis Erding dokumentiert. Ein, zwei Missgriffe bei den Pächtern - und schon war der Ruf flöten gegangen. Zwangsläufig blieben bis auf einige ewigtreue Vereinsseelen die Gäste aus, das prächtige Anwesen in der Ortsmitte des Marktes drohte zu verkümmern. Seit einem Dreivierteljahr machen sich jetzt zwei junge Männer daran, den Sensenmann zu vertreiben. "Als allererstes haben wir die Speise- und Getränkekarte weggeschmissen", sagt Anton Müller und Simon Wankerl nickt dazu heftig. Das Reiter-Bier vom Wartenberger Bräu ist geblieben, alles andere haben sie aus der Wirtsstube hinausgefegt. Die beiden sprudeln vor Ideen und sie haben vor allem eines investiert: Arbeit, Arbeit und nochmals Arbeit. Die wird ihnen auch so schnell nicht ausgehen.

Für Anton Müller, einen der beiden Pächter, schließt sich ein Kreis. Der gebürtige Fraunberger ist mit seiner Frau Steffi und den beiden Kindern wieder in das Haus seiner Eltern gezogen. Seine ersten Schritte in der Gastroszene hat er 1995 beim Reiter mit einer Lehre zum Hotelfachmann gemacht. Der Beschaulichkeit des Marktfleckens sagte der junge Mann aber nach drei Jahren Ade, ihn zog es hinaus aufs Wasser, dorthin, wo das Zuhause ist, was man gemeinhin die große weite Welt nennt. Auf dem Flussschiff "MS Mozart", seinerzeit das größte und luxuriöseste Europas, fungierte er als Stewart, und sagt heute, ,,dort habe er erst gelernt, was Arbeiten ist". So 14 bis 16 Stunden am Tag seien da schon mal drin gewesen. Barkeeper war er danach im Astor-Hotel am Flughafen. Nach zweieinhalb Jahren zog es ihn wieder hinaus - diesmal musste es aber das Meer sein und dann gleich die "MS Deutschland", die Millionen von Fernsehzuschauern als das "Traumschiff" bekannt ist. Auf dem Luxusdampfer hat Müller dann zwei Jahre lang die Welt bereist, fuhr 170 verschiedene Hafenstädte an, von der Südsee bis zum Nordkap war alles dabei, dazu noch ein bisschen Asien und Südamerika.

Anton Müller hat dem Reiter neben dem Bierausschank eine mehr als ordentliche Weinkarte verordnet. (Foto: Renate Schmidt)

Zurück vom Schiff und den meist sonnigen Gefilden leistete er sich zur Abwechslung eine Wintersaison in einer Skihütte in Österreich. Danach ging es in das legendäre Lenbach in München, wo er zu dessen Hochzeiten der Barchef war. Zweieinhalb Jahre erlebte er Veranstaltungen mit Paris Hilton, Thomas Gottschalk und den Bayernspielern oder eine Unicef-Gala mit 3000 Gästen. Eines Tages kam Müller aber ins Grübeln: "Ist das das Ziel des Lebens, mit 55 um 5 Uhr morgens an der Bar zu stehen?", fragte er sich und hat als Antwort darauf noch einmal die Schulbank gedrückt, ging anschließend als Management-Trainee ins Arabella Sheraton, war Operations-Manager im Kempinski am Münchner Flughafen und gab auch noch ein einjähriges Gastspiel im Sofitel Vienna Stephansdom. Dann kam ein Anruf aus dem Vier-Sterne-Haus "Rilano" - die Domagkstraße sollte für den gerade einmal 35-Jährigen die letzte Station vor dem Reiter in Wartenberg gewesen sein.

Dieser mit vielen Wassern gewaschene Mann scheut kaum eine Herausforderung. Zumal die Aufzählung der Jobs keinen Anspruch auf Vollständigkeit erhebt. Und doch sagt Müller: "Ohne Simon hätte ich diesen Schritt nicht gewagt".

Simon Wankerl ist Müllers Kompagnon und noch ein Jahr jünger. Der gebürtige Münchner stammt aus einer Gastrofamilie. Koch gelernt hat er im Weißen Bräuhaus im Tal und schnell strebte er gedanklich zur gehobenen Küche. Das aber hat ihm der Vater vermasselt, der befand, der Filius solle erst einmal was Gescheit's lernen. Er kam zum Bund und arbeitete als Koch im Kasino der Fürst-Wrede-Kaserne. Weitere Stationen waren im "Bürgers", da machte er seine Erfahrungen mit modernem Fastfood, hat aber bald gemerkt, "dass das nichts für mich ist". Zwei Jahre war er im Betrieb seiner Eltern, die Wege gingen auseinander, weil "ich anders kochen wollte als mein Vater".

Menschen, die sich einiges aufgehalst haben: Nadine Wankerl und Steffi Müller schmeißen den Kiosk. (Foto: Renate Schmidt)

Wankerl zog es ins Seehaus Schreyegg am Ammersee. Einige Jahre später wechselte er zum Gourmet-Restaurant "Die Ente vom Lehel" und erlebte, wie eine Großküche mit 45 Mann Besatzung funktioniert. Als stellvertretender Küchenchef lernte er dort, wie man für 1200 Personen Veranstaltungen organisiert. Als in der Ente ein asiatisches Restaurant entstand, wurde ihm seine erste Küchenchefstelle angeboten. Wankerl durfte nach London reisen und konnte sich in den dortigen Nobelrestaurants umsehen, was die panasiatische Küche zu bieten hatte. Das war die Initialzündung, Asien kennenzulernen. Erst einen Monat Australien, dann zwei Monate Singapur, Malaysia, Thailand, Kambodscha, ausgestattet nur mit einem Rucksack. Er verdingte sich als Spüler, konnte durchaus aber auch in die Geheimnisse der asiatischen Küche mit ihren ganz anderen Kräutern hineinschnuppern. Nach seiner Rückkehr gab es wechselnde Stationen als Küchenchef, bis er sich für zwei Jahre in gleicher Position im Rilano verdingte. Wie es der Zufall wollte, gaben er und Müller, die sich aus einer gemeinsamen Zeit im Arabella Sheraton kannten, dort am gleichen Tag ihren Einstand.

Mit der Idee, sich selbständig zu machen, kam die ehemalige Lehrstätte Müllers ins Spiel. Wankerl erinnert sich mit Grausen an den ersten Besuch. "Okay, was ist das hier, was zeigst Du mir, Anton"?, hat er gesagt. Was er vorfand, war ein "vogelwilder Tante-Emma-Laden mit wahnsinnig viel Efeu, Blumen und Plastikherzen". Und ganz bestimmt nicht das, was sich einer, der zuletzt immer in Vier- oder Fünf-Sterne-Hotels gewirkt hatte, für seine Zukunft vorgestellt hat. Bange machen galt aber nicht, die beiden schrieben einen Business-Plan - danach stand für sie fest: Es könnte funktionieren, zumal sie auch noch das 34-Zimmer-Hotel dazu pachten konnten.

Küchenchef Simon Wankerl bietet Spitzenkost aus Produkten der Region. (Foto: Renate Schmidt)

Das macht zwar zusätzlich Arbeit, gibt aber finanziellen Rückhalt. Und weil das Duo Müller/Wankerl von Arbeit einfach nicht genug kriegen kann, haben sie gleich noch den Kiosk am Thenner See dazu gepachtet. Da passt es wunderbar, dass beim Reiter donnerstags Ruhetag ist. Also kann die Freizeit dazu verwendet werden, am Kiosk einen kleinen Sandstrand anzulegen und "Chill and grill" anzubieten.

Ansonsten schmeißen in Thenn die Frauen der beiden den Laden. Der Betrieb geht von April bis September, von 11 Uhr in der Früh mit offenem Ende in der Nacht. Da ist zwangsläufig Arbeitsteilung angesagt, was aber ganz gut klappt. "Wenn es regnet haben wir frei", sagt Nadine Wankerl. Manchmal sei das Nass von oben geradezu ein Segen, damit der Haushalt nicht auf der Strecke bleibt. Oder wenn der Friseurbesuch schon überfällig ist.

Wenig ist es nicht, was sich die vier da aufgehalst haben - insbesondere auch für die Mütter mit ihren jeweils zwei Kindern. Und da ist es doch schön zu wissen, dass es noch jemanden gibt, auf den man sich unbedingt verlassen kann. "Mensch, habe ich ein Glück, dass ich so eine Super-Schwiegermama habe," sagt Steffi Müller.

© SZ vom 13.06.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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