SZ präsentiert:Steil gehen

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Erster Poetry-Slam beim Uferlos-Festival: Das Publikum im voll besetzten Sparkassenzelt erfährt Erheiterndes über "Hipster, Hopster, Hamster" und "Epic Fail-Compilation"

Von Clara Lipkowski, Freising

Gleich zu Beginn wird das Publikum eingestimmt, ja, man ist gekommen, um Poesie zu hören - aber um unterhalten zu werden, das natürlich auch - oder vor allem deswegen? Die Lindenkeller-Moderatoren Ko Bylanzky und Tobi Wan Sinn jedenfalls lassen die Zuhörer beim ersten Uferlos-Poetry Slam, der an diesem Mittwochabend von der Freisinger SZ präsentiert wird, erst einmal testweise klatschen, laut, lauter, ganz laut bitteschön. Das ziemlich junge, ziemlich weibliche Publikum macht bereitwillig mit. Die etwa 150 Plätze in den Bankreihen im Sparkassenzelt beim Uferlos-Festival sind da längst dicht an dicht besetzt, immer mehr Besucher strömen herein, rechts und links der Bankreihen steht und sitzt es sich auch ganz gut.

Die Regeln des Dichterwettstreits sind schnell erklärt: sechs Minuten Redezeit pro Person (es reden acht), bis auf einen Redezettel keine Requisiten, die Vortragstexte müssen selbst verfasst sein. Los geht's. Der erste Redner, Mate Tabula, stellt sich in Kapuzenpulli und mit türkisem Redezettel ans Mikro und erzählt von der Geburt seines Sohnes - also seiner Tochter - während der Schwangerschaft gab es ein paar Unklarheiten. Dass aus Jakob Jana wurde, war dann doch nicht so schlimm, Mädchenpapa ist er ja schon.

Sarah Potye aus Aschheim geht es nachdenklicher an. Sie reimt ohne Redezettel und mit kunstvollen Übergängen zwischen den Sätzen eine traurig-schöne Erinnerung an ihre beste Freundin, zu der ihr die Nähe fehlt und das "Wir-gegen-den-Rest-der-Welt-Gefühl" verloren gegangen ist. Dave Appleson, auch schon Gast im Lindenkeller, gewinnt sofort Sympathiepunkte bei den jüngsten Zuhörern, schließlich will er sein Zimmer nicht aufräumen, das Chaos finde er recht ästhetisch, sagt er, erntet Lacher und erzählt, wie er stattdessen lieber auf Facebook surft. Er regt sich so laut über die Nutzer der Kommentarfunktionen auf, dass er vorsichtshalber am Mikrofon vorbei schreit. Veronika Rieger stimmt ruhigere Töne an und reimt episodisch über drei junge Menschen, die unter gesellschaftlichem Druck zu zerbrechen drohen - zu dick, zu schwul oder zu looserhaft - und appelliert in teils irrwitzigem Sprechtempo an die Stärken des Einzelnen. Ins Finale klatschen die Zuschauer dann aber den Aufräumverweigerer.

Die Wahlberlinerin und Rapperin Jessy James LaFleur hat sich für ihre Rede nichts anderes vorgenommen als eine Revolution. Eigentlich will sie die Weltrevolution und setzt zum Rundumschlag an. "Revolution will not be televised", ruft sie, beruft sich auf den Musiker und Dichter Gil Scott-Heron, stampft wütend auf, über die Ungerechtigkeiten in der Welt, passive Bürger, die sich berieseln lassen von Netflix und "heute auf Kosten von morgen leben", bevor sie dramatisch das Mikrofon fallen lässt. Noah Klaus lässt sich davon nicht beeindrucken und nimmt die Jugendsprache ("Gönn dir hart", "Lass uns steil gehen") kabarettistisch und selbstironisch unter die Lupe. Mit Karl Marx' Neuinterpretation: "Proletarier aller Länder gönnt euch!" punktet er beim johlenden Publikum. Er hat schon gewonnen, denkt man sich. Die zwei verbliebenen Redner kommen aber auch gut an, die Stimmung ist mittlerweile gelöst-euphorisch. Der Schweizer Michael Frei dichtet im schwarzen "Feine-Sahne-Fischfilet"-Hoodie über eine "Epic-Fail-Compilation, wie ich sie bin" ("Ich könnte Muslim sein, ich hab noch nie Schwein gehabt"). Felix Bonke schildert einen Einkaufsversuch bei Abercrombie & Fitch, diesem Laden, in dem die Leute nicht mehr wüssten, ob sie noch "Hipster, Hopster oder Hamster" seien. Ins Finale schafft es neben Dave Appleson nachvollziehbar Noah Klaus. Dass Noah den Abend für sich entscheidet, ist nur verdient, obwohl der Applaus für Dave ein klein wenig lauter war.

© SZ vom 26.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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