SZ-Interview:"Die Autorität hat sich verändert"

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Schulpsychologe Röthlein über die Arbeit an Grundschulen

Interview Von Katharina Aurich, Freising

Der Schulpsychologe Hans-Joachim Röthlein regt an, mehr Zeit für Bewegung und Erholungspausen in den Schulalltag einzubauen. Der Ablauf im Schulalltag, der Wechsel zwischen Lernen und Erholung, sollte abwechslungsreicher gestaltet werden, sagt er im Gespräch mit der SZ.

SZ: Was hat Sie bewogen, Psychologe zu werden?

Röthlein: Ich wollte ergründen, wie Menschen denken und sich verhalten. Wie wirkt sich das Verhalten auf die Gedanken aus und was macht die soziale Dimension des Menschseins aus. Wie entstehen Ideen und wie ist das mit der Intelligenz.

Kann man Intelligenz messen?

Ja. Zu mir kommen Schüler, denen ich standardisierte Aufgaben stelle, um ihr Denkvermögen zu testen. Aber ob die Intelligenztests das Denkvermögen wirklich abbilden, ist nicht sicher. Oft sind intelligente Schüler schwer zu erkennen, weil sie still sind und unbeteiligt scheinen oder durch Leistungsschwankungen oder Störungen im Unterricht auffallen.

Mit welchen Fragestellungen kommen Eltern zu Ihnen?

Es geht derzeit oft um Legasthenie, diese Lese- und Rechtschreibstörung kann man nach genauen Kriterien feststellen. Wenn das der Fall ist, bekommen die Eltern der Schüler von mir eine schulpsychologische Bescheinigung, mit der sie bei der zuständigen Schulleitung Notenschutz und Nachteilsausgleich beantragen können. Als ich anfing, waren nur vereinzelte Schüler in einer Klasse betroffen, heute sind es manchmal bis zu einem Viertel in einer Schulklasse. Eine Ursache könnte sein, dass Lehrer und Eltern viel mehr dafür sensibilisiert sind, dass diese Lernschwäche nichts mit Faulheit zu tun hat.

Welche anderen Probleme gibt es?

Manchen Schülern fällt es schwer, aufmerksam zu sein und sich zu konzentrieren, dazu gehört auch ADHS. Diese Kinder sind ablenkbarer und ermüden im Schulalltag schneller. Dass das früher anders war, möchte ich nicht behaupten. Schließlich gab es schon beim Struwwelpeter den Hans-Guck-in-die-Luft und den Zappelphilipp. Aber Aufmerksamkeit ist trainierbar. Da könnten wir mehr tun, es gibt wirksame Trainingsprogramme. Leider fehlt uns Schulpsychologen die Zeit. Meiner Ansicht nach liegen mangelnde Konzentrationsfähigkeit oder Aufmerksamkeitsdefizite nicht unbedingt am PC-Konsum. Wenn diese Schwächen aber da sind, können sie durch "Daddeln" verstärkt werden. Aufmerksamkeitsstörungen bringen die Kinder mit, manchmal war ein Elternteil in seiner Schulzeit auch betroffen. Die Konzentrationsfähigkeit ist ein biologischer, von Teilen des Gehirns gesteuerter Prozess.

Wie sieht es mit Aggressionen und Gewalt an Schulen aus?

In den Kriminalstatistiken hat die Zahl der Fälle in den vergangenen Jahren ab-, aber ihre Schwere und Intensität zugenommen. Mitte der 90er Jahre ging es an den Hauptschulen viel offen gewalttätiger zu. Viele Pädagogen waren überfordert und es wurden massenhaft wirkungslose Verweise verteilt. Die Lehrer wurden nicht mehr ernst genommen. Dann wurden an den Schulen verhaltenspräventive Programme installiert und Strafen nur noch dosiert verteilt, aber konsequent umgesetzt. Auch durch die Einrichtung des M-Zweigs an Hauptschulen hat sich die Stimmung verändert, da es mehr leistungsbereite Schüler gibt, die eine Vorbildwirkung haben.

Sie arbeiten inzwischen auch in der Lehrerberatung, warum ist das nötig?

Die Burnouts und Klinikaufenthalte von Lehrern haben zugenommen. Ich biete dafür auf freiwilliger Basis eine Prophylaxe an und arbeite mit Gruppen von Lehrkräften und Schulleitungen, in denen "Freud und Leid des beruflichen Alltags" thematisiert werden. Besonders wichtig ist es, die Anzeichen für einen Burnout zu erkennen und frühzeitig dagegen zu steuern.

Ist der Lehrer überhaupt noch eine Respektsperson?

Die Autorität der Lehrer hat sich in den vergangenen Jahrzehnten verändert. Sie muss heute von den Lehrkräften mehr erarbeitet werden. Ich bemerke, dass es schwieriger geworden ist, in Grundschulen zu unterrichten. Dort treten häufiger extreme Disziplinschwierigkeiten, Konflikte der Schüler untereinander sowie mit Eltern auf. An die Elternarbeit werden daher mehr Anforderungen gestellt und die Lehrer müssen ihre Konfliktfähigkeit stärken. Oftmals sind die jungen Lehrkräfte besonders gefordert, wenn sie aus der heilen Welt ihres eigenen Lebens und des Studiums plötzlich im Konfliktfeld verschiedener Ansprüche und Interessen stehen. Früher hieß das Praxisschock.

© SZ vom 20.02.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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