Inklusion:Gleiche Chancen für alle

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"Besondere" Schüler haben Bedürfnisse, die unter Standard-Bedingungen einer Regelschule nicht abgedeckt werden können. Daher ist der Bedarf nach einer speziellen Förderung weiterhin ungebrochen

Von Gerhard Wilhelm, Erding

Als am 26. März 2009 Deutschland die UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen unterzeichnete, trat der Rechtsanspruch auf inklusive Schulbildung in Kraft. Auch in Bayern wurden die Voraussetzungen an den allgemeinen Schulen geschaffen, damit behinderte und nichtbehinderte Kinder zusammen lernen können. Im Vordergrund stand aber nicht die Abschaffung der Förderschulen, sondern ein paralleles Angebot für Kinder und Eltern, damit sie ein echtes Entscheidungsrecht haben. Im Schulamtsbezirk Erding sind heute die Grundschule am Grünen Markt in Erding und die Grundschule Dorfen-Nord Inklusionsschulen. Zudem gibt es die Sonderpädagogische Förderzentren Dorfen und Erding und die private Schule zur individuellen Lebensbewältigung St. Nikolaus Erding. Alle berichten das Gleiche, trotz Mehrangebot: der Bedarf an spezieller, individualer Förderung nimmt zu.

Für Monika Eder, Rektorin der Grundschule am Grünen Markt ist die Inklusion ein Erfolgsmodell: "Wir dürfen unseren Unterricht öffnen, können eigene Lernwege für unsere Schüler entwickeln und haben durch die Zusatzstunden auch Zeit zum Fördern. Eigene Lernwege beinhaltet aber auch, dass sehr gut begabte Schüler nicht künstlich ,gebremst' werden müssen, sie so auch nach ihrem eigenen Lerntempo sich entwickeln können und daher nicht frustriert werden." Eltern wählten die Inklusionsschule, weil sie sich davon versprechen, dass Kinder von Kindern lernen. Und sie wollen auch, dass ihre Kinder lernen, mit "Besonderheiten" umzugehen. Sie habe aber auch schon die Erfahrung gemacht, dass Eltern in der Grundschulzeit die Schule mit Profil Inklusion wählen, sich aber für die weiteren Schuljahre die Förderschule als Schutzraum für ihr Kind suchen. Denn in der Pubertät könnten Jugendliche schlechter damit leben, sich von anderen Kindern zu unterscheiden.

In Grund- und Mittelschulen mit dem Profil Inklusion gestalten Lehrkräfte der allgemeinen Schule und Lehrkräfte für Sonderpädagogik gegebenenfalls mit weiteren Fachkräften eigenverantwortlich das gemeinsame Lernen. Das feste Lehrertandem aus einer Lehrkraft der allgemeinen Schule und einer Lehrkraft für Sonderpädagogik - gegebenenfalls auch aus der Heilpädagogik - unterrichtet diese Klasse gemeinsam. Klassen mit festem Lehrertandem sind gedacht für Schüler ohne bis sehr hohem Förderbedarf. Zur Versorgung der Inklusionsschulen werden zusätzliche Stunden vom Kultusministerium, aber auch aus dem Schulamtsbudget für die Grundschulen zur Verfügung gestellt. An beiden Schulen im Landkreis ist jeweils eine Sonderschullehrkraft im Einsatz.

Für Gerhard Maintok, Rektor der Grundschule Dorfen-Nord, hat sich die Sicht auf das Kind und nicht nur bei Kindern mit besonderem Förderbedarf grundlegend verändert: "Nicht mehr das Erreichen der durch die Lehrpläne gesetzten Maßstäbe zu einem bestimmten Zeitpunkt steht im Vordergrund, sondern das dem Vermögen des Kindes angepasste Fortschreiten im Lehrstoff." Die Kinder lernten in heterogenen Gruppen "Andersartigkeit" als normal zu empfinden. Dabei seien Befürchtungen, die Förderung des inklusiven Gedankens würde die Förderzentren überflüssig machen, falsch. Das Förderzentrum Dorfen sieht er nicht in Konkurrenz zu den örtlichen Schulen. Die Zusammenarbeit beim Einschulungsprozess fördere die Akzeptanz beider Schulmodelle. Eine zu starke Zunahme von Kindern mit sonderpädagogischem Förderbedarf in der Schule werde aber durch das Sprengelprinzip und die Tatsache, dass nicht jede Schule Inklusionsschule sei, verhindert.

"Bei uns ist die Nachfrage der Eltern, die den Wunsch haben, dass ihr Kind eine spezielle Förderung bekommen, gestiegen. Wir haben jetzt zwei erste Klassen", sagt Gabi Schober, die Rektorin des Förderzentrums in Dorfen. Schon seit mehreren Jahren würden die Zahlen ansteigen, trotz der Inklusionsmodelle. Sie vermutet, dass das daran liegen könne, dass Eltern, Lehrer und Kindergärtnerinnen heute sensibler mit dem Thema umgehen und genauer hinsehen, wenn ihnen ein Kind auffällt. Das Förderzentrum Dorfen hilft als schulvorbereitende Einrichtung Kinder mit Sprach- und Entwicklungsverzögerungen im Vorschulalter, hat Sonderpädagogische Diagnose- und Förderklassen sowie Klassen zur individuellen Lernförderung. Mittlerweile aber sei man in Dorfen an eine Grenze gestoßen. "Wir haben Klassen mit bis zu 14 Kindern. Das ist für eine individuelle Förderung schon fast zu viel."

© SZ vom 27.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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